Klinik-Chef Bernd Sieber. Quelle: Unbekannt

Klinikum-Geschäftsführer Bernd Sieber kritisiert mangelnde Finanzierung durch Land und Kassen

EsslingenWer in Zeiten tief greifender Veränderungen in der Krankenhauslandschaft zehn Jahre als Chef eines Hauses der Zentralversorgung überblicken kann, verfügt nicht über ein Defizit an Erfahrungen. Die hat Bernd Sieber in reichlichem Maße gemacht, seit er vor 2009 im Alter von 41 Lenzen seinen neuen Posten als Geschäftsführer des Klinikums Esslingen antrat. Nicht alle Eindrücke waren positiv und bis heute macht er kein Hehl aus seiner Verärgerung über die vom Bundeskartellamt untersagte Fusion des Klinikums mit den damaligen Kreiskliniken. Das war 2014 und aus Siebers Sicht „bar jeder Vernunft“. Und so läuft der preisintensive Wettbewerb weiter, auch wenn es Kooperationen mit den benachbarten Krankenhäusern des Landkreises und darüber hinaus gibt.

Die Erwartungen waren groß, als der in Freiburg geborene Diplom-Volkswirt Bernd Sieber das städtische Krankenhaus als Geschäftsführer übernahm. Seine Vorgängerin Cornelia Lindner war zuvor von ihrer Aufgabe freigestellt worden – zwischen ihr und der Stadt hatte die Chemie nicht gestimmt. Das ist bei Sieber anders und schlägt sich auf verschiedenen Feldern nieder. Im Bereich der medizinischen Infrastruktur wurde mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Klinik neu aufgebaut, erweitert wurde die Strahlentherapie, ein weitererer Linearbeschleuniger wird seinen Dienst aufnehmen, die kardiologische Klinik wurde um die Elektrophysiologie, um ein kardiologisch ausgerichtetes Schlaflabor und um einen Linksherzkathetermessplatz ergänzt. Darüber hinaus sind in den vergangenen zehn Jahren viele Bereiche des Klinikums saniert und modernisiert worden – auch derzeit wird auf dem Krankenhausgelände gearbeitet.

Noch Wünsche offen

Wunschlos glücklich? Das wird ein Geschäftsführer wohl nie sein, und so sind für ihn durchaus noch einige Entwicklungsmöglichkeiten denkbar. Auf dem Feld der Neurochirurgie etwa, aber auch mit Blick auf Disziplinen wie Urologie, Dermatologie oder Herzchirurgie. Aber Bernd Sieber ist Realist. Schon deshalb, weil er sich täglich mit der finanziellen Situation seines Hauses zu befassen hat. Die ist aus seiner Sicht stabil, doch es werde immer schwieriger, die Zahlen zu halten. 1,4 Millionen Euro betrug der Verlust des Esslinger Klinikums im Jahr 2017. Sieber führt dies auf die Finanzierung von Investitionen zurück, die nicht den Regeln entsprechend ausgeglichen worden sind. Grundlage der Krankenhausfinanzierung in Deutschland sei nun einmal, dass Investitionen vom jeweiligen Bundesland, die Kosten für die Patientenbehandlung dagegen von den Krankenkassen getragen würden. „Leider sind wir seit vielen Jahren weit von diesem Finanzierungsgrundsatz entfernt“, beklagt der Geschäftsführer. Investitionskosten würden in der Regel nicht vollständig finanziert, die Krankenhäuser seien so gezwungen, eigene Betriebsmittel einzusetzen. Sieber: „Das führt zu einem gefährlichen Substanzverlust bei allen Krankenhäusern.“ Aber auch das Zusammenspiel mit den Krankenkassen gestaltet sich nach den Beobachtungen Siebers zunehmend komplizierter. Er begegne immer häufiger „einer Kultur des Misstrauens“, vor allem mit Blick auf den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dieser beeinflusst die Entscheidung der Kassen, welche Leistungen von ihnen übernommen werden und welche nicht. „Die Kassen verfügen über 21 Milliarden Euro Reserve“, erinnert der Geschäftsführer des Esslinger Klinikums in diesem Zusammenhang.

Erhebliche Kosten verursachen natürlich auch Doppelstrukturen, wie es sie im Landkreis nach der geplatzten Fusion weiterhin gibt. Das Esslinger Klinikum investiert, und der Landkreis tut es auch, wie das Beispiel Medius-Kliniken zeigt. In Ruit werden mehr als 100 Millionen Euro für zwei neue Bettenhäuser und für die Neuordnung der funktionalen Abläufe in den Operations- und Behandlungsräumen ausgegeben. Allerdings gibt es bei allem kostentreibenden Wettbewerb auch Zusammenarbeit. Bernd Sieber: „Wir arbeiten mit den benachbarten Leistungserbringern der Krankenhäuser im Landkreis und darüber hinaus gut zusammen – so zum Beispiel im Onkologischen Schwerpunkt Esslingen.“ Mit dem Rotkreuz-Krankenhaus in Stuttgart verbindet das Klinikum seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit im Rahmen eines gemeinsamen Lungenkrebszentrums, dem Thoraxzentrum Esslingen-Stuttgart. „Auch arbeitet die Kardiologie sehr eng mit der Herzchirurgie in Stuttgart zusammen“, nennt Sieber nur einige Beispiele.

Um noch mal auf das Thema Wettbewerb zurückzukommen: Der erzeugt auch anderweitig nicht nur positive Effekte. Zum Beispiel dann, wenn es um die Personalsituation in den Krankenhäusern geht. „Die Engpässe im ärztlichen Bereich nehmen seit einiger Zeit zu, im Pflegebereich haben wir diese schon länger“, erklärt Sieber. Letztendlich würde sich die Situation in den Krankenhäusern nicht mehr von der in der Industrie unterscheiden, in der auch Fachkräftemangel herrsche.

Ein neuer Kreißsaal

Eine medizinische Versorgung, die weit über das Standardprogramm hinausreicht, eine gute Hand bei der Auswahl des ärztlichen und pflegerischen Personals und Investitionen in die Anforderungen der Zukunft: Das Programm der vergangenen zehn Jahre wird auch das der kommenden zehn Jahre sein. „Wegen deutlich steigender Geburtenzahlen in unserem Haus sind wir gerade dabei, einen weiteren Kreißsaal zu bauen“, nennt Sieber ein laufendes Projekt. Darüber hinaus werde der internistische Intensivbereich erweitert „und wir planen im Bereich unserer chirurgischen Disziplinen eine wesentliche Gebäudeerweiterung, damit wir unsere Patienten in den nächsten Jahren besser unterbringen können“.

Das Klinikum Esslingen ist Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen und wird von der Stadt Esslingen getragen. Das Krankenhaus der Zentralversorgung verfügt über 662 Betten und beschäftigt insgesamt rund 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon sind 287 im ärztlichen Dienst, 678 im Pflegedienst und 416 im Funktionsdienst beschäftigt. Es gibt etwa 120 Auszubildende im Klinikum, zu dem auch eine Schule für Pflegeberufe gehört.

Stationär werden im Klinikum Esslingen etwa 28 000 Patientinnen und Patienten pro Jahr aufgenommen, circa 105 000 werden jährlich ambulant behandelt. Ebenfalls über den Zeitraum eines Jahres finden im Klinikum rund 9200 Eingriffe statt. Die Verweildauer der Patienten beträgt im Durchschnitt 6,5 Tage.

Kliniken: Allgemein- und Viszeralchirurgie, Allgemeine Innere Medizin, Onkologie/Hämatologie, Gastroenterologie und Infektiologie, Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Gefäß- und Thoraxchirurgie, Kardiologie, Angiologie und Pneumologie, Kinder und Jugendliche, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Neurologie und klinische Neurophysiologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Diagnostische und interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin ,Strahlentherapie und Radioonkologie, Unfallchirurgie und Orthopädie, Belegklinik Augen, Belegklinik HNO.

Zentren: Onkologisches Zentrum, Darmzentrum, Interdisziplinäres Brustzentrum, Lungenkrebszentrum (TESS), Zentrum für Gynäkologische Tumorerkrankungen, Pankreaskarzinom-Zentrum, Ambulantes Onkologiezentrum, Adipositaszentrum, Ambulantes OP-Zentrum, Beckenbodenzentrum, Endometriose- und Myom-Zentrum, Endoprothetikzentrum, Endoskopiezentrum, Gefäßzentrum, Leberzentrum, Mutter-Kind-Zentrum, Perinatalzentrum, Regionales Traumazentrum, Sozialpädiatrisches Zentrum, Zentrum für Wirbelsäulentherapie.

Weitere Einrichtungen: Zentrale Notaufnahme, Praxen im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), MVZ Strahlentherapie und Radioonkologie, MVZ Gastroenterologie, MVZ HNO-Praxis, MVZ Kinder- und Jugendpsychiatrie, MVZ Neurologie, MVZ Nuklearmedizin, Therapieabteilung, Apotheke, Dialyse, Zentrallabor, Institut für Pathologie.