Der württembergische König besichtigt 1893 mehrere Esslinger Betriebe, darunter auch die Kammgarnspinnerei Merkel und Kienlin (Aufnahme stammt vermutlich aus dem Jahr 1904). Foto: Stadtarchiv Esslingen - Stadtarchiv Esslingen

In Esslingen wird im Juni, von der Eßlinger Zeitung ausführlich begleitet, ein „hoher Freuden- und Ehrentag“ gefeiert: Der württembergische König Wilhelm II. und seine Frau Charlotte besuchen die Stadt. Was sonst noch 1893 passierte, schildert die Jubiläumsserie.

EsslingenDie Regierung des Deutschen Reichs setzt im Jahr 1893 bei ihren außenpolitischen Signalen weiterhin auf militärische Stärke. Im Mai wird eine Gesetzesvorlage mit dem Ziel eingebracht, die Präsenzstärke des Heers weiter zu erhöhen. Das Ansinnen scheitert, Reichskanzler Leo von Caprivi löst daraufhin den Reichstag auf. Bei den Neuwahlen sechs Wochen später siegen die regierungstreuen Parteien Nationalliberale Partei, Deutsch-Konservative Partei und Freikonservative Partei/Deutsche Reichspartei nur noch knapp. Die Sozialdemokraten und die antisemitischen Parteien verzeichnen Stimmenzuwachs. Der neue Reichstag nimmt die Gesetzesvorlage für eine Erhöhung der Truppenstärke auf 552 000 Mann an.

Die fortgesetzte protektionistische Wirtschaftspolitik der Reichsregierung ruft Reaktionen hervor. Aus Protest gegen die Zoll- und Handelsrestriktionen wird in Berlin der Bund der Landwirte gegründet. Bereits ein Jahr später zählt der Bund 200 000 Mitglieder. Auch die Kohleindustrie schließt sich zusammen. Auf eine Initiative des Generaldirektors der Gelsenkirchener Bergwerks-AG, Emil Kirdorf, wird das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat als Absatzkartell von 98 Zechen des Oberbergamtsbezirks Dortmund gegründet. Das Kartell kontrolliert fortan fast 87 Prozent der Steinkohleproduktion des Ruhrgebiets.

Im Februar gesellt sich ein weiterer innovativer Ingenieur zu den deutschen Motoren- und Fahrzeugkonstrukteuren Carl Benz, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach. Rudolf Diesel erhält ein Patent auf „Arbeitsverfahren und Ausführungsart für Verbrennungsmaschinen“ und beginnt in Augsburg mit der Entwicklung eines Motortyps nach dem Prinzip der Selbstzündung.

In Esslingen wird im Juni, von der Eßlinger Zeitung ausführlich begleitet, ein „hoher Freuden- und Ehrentag“ gefeiert. Der württembergische König Wilhelm II. und seine Frau Charlotte besuchen die Stadt. Der königliche Tross wird an der Markungsgrenze vom Stadtschultheißen begrüßt, Schüler, Gesangvereine, Turnverein und Turnerbund, Militärvereine und Feuerwehren bilden ein Spalier bis zum Rathaus, „bei der Einfahrt donnern die Kanonen von der Burg ihre ehernen Grüße“.

Beim Empfang im Rathaus durch den Gemeinderat, die Geistlichkeit und Vertreter des Gewerbes „nebst einem reichen Kranz 12 reizender Festjungfrauen“ wird reichlich getafelt und Stadtschultheiß Max Mülberger hält „eine kräftige Ansprache“ an die Versammlung und den König, wie die Zeitung berichtet. „Er versicherte Hochdenselben, daß die Bewohner Eßlingens ebenso treu zu unserem Königshause stehen, wie die Bürger anderer Städte.“

Der König reagiert mit einer besonderen Ehrung. „Er finde, daß ihm in Eßlingen treue Herzen entgegenschlagen und könne die Versammelten versichern, daß auch er der Stadt in Liebe zugethan sei“, schreibt die Esslinger Zeitung. Um dies zu unterstreichen, wird Max Mülberger der Titel Oberbürgermeister verliehen. Die Festversammlung ist begeistert und „giebt hiezu ihren Beifall in freudig erregter, kräftiger Weise zu erkennen“.

Nach dem Empfang besichtigt der König „sechs hiesige industrielle Etablissements“, neben der Maschinenfabrik auch Merkel und Kienlin, Deffner, Dick, J. F. Schreiber und schließlich „die Schaumweinfabrik Keßler u. Cie. Nachfolger“. Dort steht eine Verkostung auf dem Programm. „Im Champagnerkeller, der mit Florentinerlämpchen feenhaft beleuchtet war, ließen sich die Majestäten nieder und thaten dort mit ihrer Begleitung dem köstlichen Fabrikat alle Ehre an.“