Thekla Schlör Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Thekla Schlör ist Arbeitsvermittlerin aus Passion. Sie schätzt die Arbeit mit Menschen und möchte alles dafür tun, um anderen zum passenden Arbeitsplatz zu verhelfen. Weil die 52-Jährige in ihrer Karriere bei der Bundesagentur für Arbeit immer wieder bewiesen hat, dass sie nicht nur ihr Geschäft versteht, sondern auch konsequent über den eigenen Tellerrand hinausblickt, ging ihr Weg immer weiter nach oben - bis an die Spitze der Göppinger Arbeitsagentur, die auch den Landkreis Esslingen betreut. Im Interview mit unserer Zeitung beurteilt Thekla Schlör die Perspektiven des regionalen Arbeitsmarkts.

Sie sind quer durch die Republik herumgekommen. Wie beurteilen Sie den regionalen Arbeitsmarkt?

Schlör: Ende Dezember waren im Kreis Esslingen rund 9300 Arbeitslose gemeldet - ihnen standen mehr als 8000 freie Stellen gegenüber. Wie viel Bewegung der regionale Arbeitsmarkt birgt, zeigen die erfolgreichen Vermittlungen: 2017 haben im Landkreis Esslingen fast 35 000 Menschen einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Diese Dynamik habe ich in anderen Regionen so noch nicht erlebt. Göppingen ist eher klassisch industriell vom Maschinenbau geprägt und bei guter Wirtschaftslage stärker vom Beschäftigungsaufbau getragen, wegen der Exportabhängigkeit aber mit größeren Risiken behaftet. Esslingen ist stärker von Dienstleistung und aufstrebenden Branchen geprägt. Die Vielfalt in unserem Arbeitsagentur-Bezirk macht die Arbeit interessanter, weil es mehr Herausforderungen gibt und weil man mehr aktiv gestalten kann.

Wo setzen Sie für die Göppinger Arbeitsagentur die Schwerpunkte?

Schlör: Mit Blick auf den Fachkräftebedarf ist es uns ganz wichtig, arbeitslose Menschen zu aktivieren und zu qualifizieren, damit sie in Unternehmen Fuß fassen können und damit Firmen eine Perspektive haben, Fachkräfte zu finden. Wir wollen den Übergang von der Schule in den Beruf möglichst reibungslos gestalten, indem wir junge Menschen abholen und ihnen zu der Ausbildung verhelfen, die ihnen und ihren Möglichkeiten angemessen ist. Und schließlich wollen wir Unternehmen bei der Suche nach Mitarbeitern begleiten und ihnen Alternativen auf zeigen, wenn sich die maßgeschneiderte Lösung am Arbeitsmarkt nicht finden lässt.

Das wirtschaftliche Hoch dauert schon relativ lange. Kann eine solche Phase der Stabilität den Arbeitsmarkt für mögliche Einbrüche, die irgendwann auch wieder kommen könnten, wappnen?

Schlör: Ich bin überzeugt, dass das in vielen Bereichen zutreffen würde - auch wenn wir uns alle wünschen, dass die Phase der Stabilität auf hohem Niveau möglichst lange andauern möge. Falls es anders kommen sollte, machen mich die Erfahrungen der Krise 2008/2009 zuversichtlich. Da ist von heute auf morgen vieles weggebrochen, zahlreiche Arbeitsplätze waren in Gefahr. Trotzdem gab es in vielen Firmen einen Konsens, dass man mit unserer Hilfe versuchen sollte, die Zeit mit Kurzarbeit zu überbrücken und die Kurzarbeit zu nutzen, um Mitarbeiter weiter zu qualifizieren. Dieses Modell hat sich bewährt, und es würde wieder tragen - zumindest für eine gewisse Zeit. Solche Erfahrungen geben Sicherheit.

Der digitale Wandel wird massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Sind wir auf die Herausforderungen der Industrie 4.0 schon ausreichend vorbereitet?

Schlör:Es gibt Unternehmen, die sehr gut vorbereitet sind - es gibt aber auch Bereiche, wo eher die Vogel-Strauß-Politik zu regieren scheint. Mut machen mir die Unternehmen, die strategisch und technisch schon die Weichen gestellt haben und die versuchen, auf der Höhe der Zeit zu sein. Besonders groß ist die Herausforderung für kleine und mittelständische Betriebe. Da könnte sich mancher von der guten Auftragslage blenden lassen und nicht mit der nötigen Konsequenz an der Zukunft arbeiten. Gerade im produzierenden Gewerbe scheint es Nachholbedarf zu geben.

Die Digitalisierung wird Arbeitsplätze kosten. Wird sich der Fachkräftemangel dadurch relativieren?

Schlör:Das könnte man annehmen, wird aber wohl nicht so sein. Durch Digitalisierung gehen Arbeitsplätze verloren, im Gegenzug entstehen aber neue, die andere und meist höhere Qualifikationen verlangen. Die Anforderungen an die Mitarbeiter werden sich massiv ändern. Wohin die Entwicklung am Ende führen wird, kann keiner sagen. Je bewusster wir den Prozess gestalten, desto besser können wir ihn im Sinne der Menschen gestalten.

Einerseits reden alle vom Fachkräftemangel, und andererseits streichen Unternehmen trotz guter Erträge Stellen. Und die Zahl derer, die sich vom Arbeitgeber wertgeschätzt fühlen, ist auch nicht gerade gewachsen. Wäre ein sorgsamerer Umgang mit den eigenen Mitarbeitern nicht die beste Antwort auf den Fachkräftemangel?

Schlör:Viele Firmen beschäftigen sich mit der Prozess- und Gewinnorientierung. Und manche haben sehr wohl erkannt, dass der Faktor Mensch ganz entscheidend ist und dass man von Wertschätzung nicht nur reden darf, sondern sie auch zeigen muss. Wenn wir an kommende Generationen denken, die ein anderes Verhältnis zu Arbeit und Karriere haben, wird das noch wichtiger. Arbeitgeber müssen das Thema Menschlichkeit im Blick behalten und im einen oder anderen Fall wieder nach oben bringen, wenn sie erfolgreich sein wollen.

Wertschätzung am Arbeitsplatz ist manchmal auch eine Altersfrage. Wir haben die Rente mit 67, beklagen den Fachkräftemangel, und dennoch gehen ältere Mitarbeiter nicht immer ganz freiwillig vorzeitig in den Ruhestand. Müssen wir auch in diesem Punkt umdenken?

Schlör:Das ist ein Thema, das uns seit mindestens 30 Jahren begleitet. In vielen Unternehmen hat bereits ein Umdenken stattgefunden, weil sich Arbeitgeber fragen, ob sie allein wegen des Alters auf langjähriges Know-how verzichten wollen und können. Es ist kein Zufall, dass die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen rückläufig ist. Allerdings sind es nicht nur die Arbeitgeber - manchmal sind Mitarbeiter ganz froh, wenn sie ihr Berufsleben etwas eher ausklingen lassen dürfen.

Wenn wir dem Fachkräftemangel begegnen wollen, könnten Flüchtlinge eine mögliche Antwort sein. Ihr Vorgänger meinte vor zwei Jahren: „Flüchtlinge sind die Fachkräfte von übermorgen.“ Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

Schlör:Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren einiges dazugelernt. Die ersten Flüchtlinge, die kamen, hatten ein sehr hohes Bildungsniveau. Das hat sich mit der Dauer des Zustroms relativiert. Man hat zweierlei unterschätzt: Der Aufwand für den Spracherwerb, der ausreicht, damit jemand seinen Platz in unserer Arbeitswelt findet, ist oft erheblich höher, als man angenommen hat. Und wir haben die kulturellen Unterschiede nicht genug bedacht: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und ein Acht-Stunden-Tag sind nicht überall so selbstverständlich wie bei uns. Manches braucht mehr Zeit, als wir gehofft hatten. Und wir müssen klarer sagen, was wir von jemandem erwarten, der hier Fuß fassen möchte. Wenn uns das gelingt, müsste es möglich sein, 40 bis 50 Prozent der Flüchtlinge auf Fachkräfteniveau zu bringen.

Sehen Sie bereits erste Erfolge?

Schlör: Einerseits haben wir schon viele junge Leute in Ausbildung gebracht - andererseits gibt es immer mehr Betriebe, die die Chance sehen, Auszubildende zu bekommen, die sie sonst nicht finden würden. Leider entscheiden sich Flüchtlinge oftmals lieber für eine gering qualifizierte Tätigkeit, weil sie rascher eine Stelle finden, kurzfristig besser verdienen und so ihre finanziellen Verpflichtungen, die sie in der Heimat oder durch die Flucht haben, erfüllen können. Das mag kurzfristig verständlich sein, ist aber langfristig der schlechtere Weg.

Das Interview führte Alexander Maier.

Zur Person

Philosophie: Thekla Schlör hat die Leitung der Göppinger Arbeitsagentur von Wilfried Hüntelmann übernommen, der nach München gewechselt ist. Sie setzt auf Netzwerke und die konsequente Zusammenarbeit mit regionalen Partnern am Arbeits- und Ausbildungsmarkt.

Erfahrung: Die 52-Jährige bringt langjährige Erfahrung in der Arbeitsverwaltung mit. Nach einem Studium der Fachrichtung Arbeitsverwaltung hat sie eine Fortbildung zur Arbeitsberaterin absolviert. Von 1987 bis 2001 war Schlör erst Arbeitsvermittlerin und dann Arbeitsberaterin im Arbeitsamt in Würzburg, ehe sie für drei Jahre in die Innenrevision der Regionaldirektion Bayern wechselte. Von 2004 bis 2006 kümmerte sie sich in der Bundesagentur für Arbeit um die Produktentwicklung im Bereich Vermittlung und aktive Arbeitsförderung, ehe sie Vize-Chefin der Agenturen für Arbeit Merseburg und Ludwigshafen wurde. Von 2007 bis 2013 war Schlör Leiterin des Fachbereiches berufliche Rehabilitation und Vermittlung behinderter Menschen in der Bundesagentur, von 2013 bis 2014 Chefin der Agenturen in Landshut-Pfarrkirchen und Ingolstadt sowie schließlich ab 2014 Chefin der Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim.