Andrea Stammberger, Katja Kliebenschedel, Peter Nebel und Marie Büttgen schätzen die Kupfergasse. Sollte die Stadt dort neu bauen, müssten sie ihre Räume im Haus Nummer 6 aufgeben. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Katja Kliebenschedel lebt gerne in der Esslinger Altstadt. Lange hat die Studentin zusammen mit ihrer Freundin Marie Büttgen nach einer halbwegs bezahlbaren Wohnung gesucht - als die beiden im vergangenen Sommer endlich einen Mietvertrag in der Kupfergasse 6 unterschreiben durften, war das für sie wie ein Sechser im Lotto: „Wir waren glücklich, dass wir endlich etwas Passendes gefunden haben. Wer hier in der Gegend eine Wohnung sucht und nicht jeden Preis bezahlen kann, der weiß, was wir hinter uns haben.“ Kurz vor Weihnachten bekam ihre Freude einen kräftigen Dämpfer: Der Esslinger Gemeinderat hat beschlossen, die Grundstücke und Gebäude in der Küferstraße 13/1 und Kupfergasse 6 zu kaufen, weil die Stadt laut Rathaus-Sprecher Roland Karpentier „städtebauliche Entwicklungspotenziale auf dem Gelände“ sieht. Dass damit ein Neubau der Esslinger Stadtbücherei an dieser Stelle gemeint sein könnte, hatten Katja Kliebenschedel und die anderen Mieter bereits im Herbst aus der Zeitung erfahren. Und auch wenn die Stadt nun versichert, sie werde die Mietverträge der zehn Mietparteien in vollem Umfang übernehmen, spricht vieles dafür, dass die Mieter früher oder später weichen müssten - ganz egal,ob dort eine neue Stadtbücherei oder ein anderer Neubau entstehen sollte.

Einfach nur umziehen reicht nicht

Vier Tage nach ihrem Einzug hatten Katja Kliebenschedel und Marie Büttgen im Herbst in der EZ gelesen, dass die Stadt überlegt, ihre Bücherei dorthin zu verlegen. „Wir konnten kaum glauben, dass wir vielleicht demnächst schon wieder ausziehen müssen“, sagt Marie Büttgen. Wie den beiden erging es auch anderen Mietern aus dem Gebäude Kupfergasse 6. Anfangs habe der Vermieter sie beruhigt, dass er von den Überlegungen der Stadt auch nur aus der Zeitung wisse. Im Rathaus heißt es jedoch, dass die Stadt ihr Kaufinteresse schon vor der Sommerpause angemeldet habe. Ganz grundsätzlich, so Karpentier, biete sich dort eine „mittel- bis langfristige Option zur städtebaulichen Aufwertung der östlichen Altstadt“. Es gebe jedoch weder einen Zeitplan noch konkrete Überlegungen und schon gar keine Vorentscheidung über den künftigen Bücherei-Standort.

Solche Äußerungen können die Mieter in der Kupfergasse 6 nicht beruhigen. Peter Nebel arbeitet dort seit 15 Jahren als Heilpraktiker, und auch er müsste sich eine neue Praxis suchen, wenn die Stadt an dieser Stelle neu bauen würde. „Ich habe Verständnis dafür, dass ein Eigentümer ins Grübeln kommt, wenn er eine entsprechend große Summe angeboten bekommt“, sagt Nebel. „Man darf aber auch diejenigen nicht vergessen, die dann weichen müssten. Einfach nur etwas Neues suchen und umziehen - so einfach ist das nicht.“ Peter Nebel hat einiges in seine Praxis investiert. Nun droht ihm ein Neubeginn: „Eine Praxis versetzt man nicht so einfach. Viele Ärzte und Apotheker im Umfeld kennen mich, wir arbeiten teils seit vielen Jahren eng zusammen. Es ist schwer vorstellbar, dass ich in unmittelbarer Nähe neue Räume finde. Wenn ich in einem anderen Stadtviertel neu beginnen würde, müsste ich mir all diese Kontakte wieder aufbauen.“

Andrea Stammberger war ebenfalls wie vom Donner gerührt, als sie erfuhr, dass die Stadt überlegt, genau dort, wo sie seit Jahren wohnt, neu zu bauen: „Auf der städtischen Homepage liest man, die Stadt betreibe eine ‚zielgerichtete Wohnraumpolitik’, um der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken. Die Realität sieht anders aus: Ein vor wenigen Jahren renoviertes dreistöckiges Haus, das als erhaltenswert eingestuft ist, würde entmietet und abgerissen werden. Dass die jetzigen Mieter die Zahl der Wohnungssuchenden in Esslingen nur noch steigern würden, ist offenbar vollkommen ohne Belang und lässt die Entscheidungsträger moralisch in zweifelhaftem Licht erscheinen.“ Und sie fragt: „Ist ein solch existenzieller Eingriff in das Leben von Esslinger Bürgern ausgerechnet von Seiten ihrer Stadt wirklich vertretbar?“ Einen Bücherei-Neubau zwischen Küferstraße und Kupfergasse empfindet sie als „mondänes Großprojekt, das von der überwältigenden Mehrheit der eigenen Bevölkerung vehement abgelehnt wird“. Mit vielen Esslingern ist sich Andrea Stammberger einig: „Es ist keine Frage, dass für die Bücherei endlich etwas getan werden muss. Aber das kann nicht bedeuten, dass wir von der Stadt irgendwann auf die Straße gesetzt werden.“ Das gelte umso mehr, als es mit dem Bebenhäuser Pfleghof eine überzeugende Alternative gebe: „Die Menschen lieben den Pfleghof. Wenn er erweitert und wirklich gut modernisiert ist, werden sie ihn noch mehr lieben.“

Das sieht auch Peter Nebel so: „Den Pfleghof muss die Stadt auf jeden Fall behalten, und dann muss sie ihn auch noch sanieren. Das kostet zusätzlich Geld. Deshalb dachten viele anfangs an ein Hirngespinst, als von einem Neubau zwischen der Küferstraße und der Kupfergasse die Rede war. Man darf sich schon fragen, ob dieses Areal als Standort einer neuen Bücherei geeignet ist. Für mich hört sich das nach einem Schnellschuss an. Wir sind schon lange hier und kennen die Situation. Wenn man eine Bibliothek bauen will, die ausreichend groß ist, muss man so nah wie möglich an die angrenzenden Gebäude heranrücken. Das macht alles dunkler und man kann sich gegenseitig ins Fenster schauen. Da fassen sich viele, die das Areal kennen, an den Kopf. Ich weiß von einigen Nachbarn, die schon beim Anwalt waren, und ich kann mir kaum vorstellen, dass die das hinnehmen würden.“

„Ein schaler Beigeschmack“

Marie Büttgen appelliert an die Stadt, sich die Sache nochmals genau zu überlegen: „Esslingen hat ein Problem, genug bezahlbaren Wohnraum zu bieten. Da darf man nicht die wenigen günstigen Wohnungen in der Innenstadt auch noch abreißen.“ Dass es noch einige Zeit dauern würde, bis zwischen Küferstraße und Kupfergasse neu gebaut werden würde, ist für die pädagogische Fachkraft ein schwacher Trost: „Eine neue Wohnung in Esslingen zu finden, die wir uns leisten können, wird immer schwerer. Und wenn wir weiter ins Umland ausweichen müssten, wäre der Weg zur Arbeit kaum zu schaffen.“ Unter diesen Vorzeichen kommt Andrea Stammberger mit Blick auf die Diskussionen der vergangenen Monate zu dem Schluss: „Dieses Esslinger Roulettespiel hat einen schalen Beigeschmack von Gleichgültigkeit und Arroganz.“