Angela Merkel und Martin Schulz vor Beginn des TV-Duells in den Fernsehstudios in Adlershof. Foto: Herby Sachs Foto: DPA - Herby Sachs

Von Martin Mezger

Eine Karikatur in einer deutschen Tageszeitung: Ein nicht mehr ganz junges Paar sitzt Händchen haltend auf einer Parkbank und blickt in die Abenddämmerung. „Dein Auftritt war großartig, Martin“, sagt sie. Er: „Deiner auch, Angela.“ Nach ihrem TV-Duell, in Wahrheit eher ein Duett, verkörpern Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz – je nach Sichtweise – das Traum- oder Alptraum-Paar der deutschen Politik. Eine gleichsam teflonbeschichtete Amtsinhaberin, an der kein kritischer Anwurf haften bleibt, so sie ihn nicht ohnehin durch Konsensrhetorik ins Leere laufen lässt. Und ein Kontrahent, der sich wie Fiffi an der Moderatorenleine führen lässt, der sich den Haken von links nicht richtig traut und die Umarmung von rechts peinlich kaschiert. Traum oder Alptraum? Die Antwort entscheidet auch über zwei gegensätzliche demokratische Prinzipien: Konsens oder Konkurrenz.

Der Traum wäre der einer auf Sachfragen konzentrierten Politik, in der sich jenseits inszenierten Parteienzwists der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ durchsetzt, wie Jürgen Habermas in schöner Dialektik formuliert hat. Der Alptraum hingegen wittert das ewig spukende GroKo-Gespenst, das hinter dem Vorwand des vernünftigen Konsenses nur faule Kompromisse tarnt. Durch gegenseitige Blockade unfähig zur Entschiedenheit, verständigen sich die Großkoalitionäre auf die politische Homöopathie des am wenigsten Falschen. Der Anschein der Handlungsschwäche erzeugt in der politischen Mitte ein Vakuum, dessen Sog die Ränder gefährlich wachsen lässt. Beispiel dafür ist Österreich. Die lange Jahre praktizierte Konsensdemokratie mündete in den Aufstieg Jörg Haiders als Prototyp des europäischen Populismus.

Tatsächlich weist das österreichische Beispiel auf das Kernproblem von Kuschelkurs-Demokratien hin: den Mangel an Emotionalisierung bis hin zur schieren Empörung. Der Staatsrechtler Carl Schmitt – ein Verächter des Parlamentarismus, diskreditiert durch seine Kumpanei mit den Nazis, gleichwohl ein scharfer Kopf – hat in seiner während der Weimarer Republik verfassten Abhandlung „Der Begriff des Politischen“ geschrieben: „Die eigentliche politische Unterscheidung ist die von Freund und Feind.“ Die politische Feinderklärung, so Schmitt, erfolgt aus keinen moralischen, pragmatischen oder ökonomischen Motiven. Sondern aus dem Wesen des Politischen selbst, der Machtentscheidung des Entweder-Oder. Die oder wir, links oder rechts: Der politische Feind ist der „Andere“, der „Fremde“. Klingt schrecklich, ist ideologisch abwegig, legt aber den Finger auf einen wunden Punkt: den emotionalen, rational nicht ableitbaren Anteil der Politik. Eine rein vernunftgesteuerte Politik bräuchte weder Kontroversen noch Entscheidungen, nur Plausibilität. Sie ginge in vollkommene technokratische Entpolitisierung über.

Genau dieses Ideal hat sich aber der politischen DNA der Bundesrepublik nach der ersten Bundestagswahl 1949 eingeschrieben. Damals lieferte SPD-Mann Kurt Schumacher seinem CDU-Kontrahenten Konrad Adenauer noch einen Richtungswahlkampf aus dem Geist der Feindschaft. Die Niederlage Schumachers besiegelte das Ende eines Politikstils – und die Geburtsstunde einer Doktrin: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Tatsächlich hat später auch die SPD in ihrer Angreiferrolle fast ausschließlich Mittelfeldspieler ins Spitzenkandidatenrennen geschickt. Und die SPD-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder machten perfekte CDU-Politik, der eine in puncto Nachrüstung und Innere Sicherheit (freilich zu RAF-Zeiten), der andere mit den Hartz-Beschlüssen. Umgekehrt legt Angela Merkel immer wieder Kehrtwenden zu SPD- oder Grünen-Positionen hin (Mindestlohn, Atomausstieg). Mit Martin Schulz hat die SPD abermals einen Mittelstürmer aufgestellt, der allerdings nicht nur lahmt, sondern über ein Dilemma stolpert: Wenn er alles richtig macht und einen Gerechtigkeitswahlkampf führt, macht er alles falsch, weil er Umverteilungsängste weckt. Wenn er keinen Gerechtigkeitswahlkampf führt, macht er auch alles falsch. Ein Mitte-Problem. Der Geist politischer Feindschaft hat sich unterdes ins Parteiinterne verzogen. Adenauers Sarkasmus „Freund, Feind, Parteifreund“ bewahrheitete sich bei ihm selbst und Ludwig Erhard, bei Willy Brandt und Herbert Wehner, bei Helmut Kohl und Franz Josef Strauß: Sie alle waren in herzlicher Abneigung verbunden.

Verglichen mit all dieser Polit-Idyllik wirkt der Horrorclown im Weißen Haus wie das grotesk personifizierte Feindschaftsprinzip. Denn Donald Trump hat vor allem eines geschafft: eine ohnehin polarisierte Nation vollends zu spalten. Und die für ihn stimmten, haben ihn gerade deswegen gewählt. Er ist der amtierende Beweis für die Wiederkehr jenes Willens zur Macht der Unterscheidung, der in Carl Schmitts Definition des Politischen unbehaglich aufscheint – auch wenn er bei weiten Teilen der Trump-Klientel nur Projektion der Machtlosen ist. Was folgt daraus für Konsens oder Konkurrenz? Gefühlte Alternativlosigkeit innerhalb der Demokratie ist kein Vorschein vernünftiger Einsicht, sondern löst politische Klaustrophobie aus. Sie macht Angst. Sie ist die größte Gefahr für die Demokratie selbst.