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Von Lena Müssigmann

Stuttgart - Seine Lämmerweide war plötzlich ein trauriger Ort für Michael Straußberger (35), als er am Samstag vor gut zwei Wochen dort ankam. Zwei Lämmer waren tot, die Innereien rausgeholt, eines fast ganz aufgefressen, ein zweites angenagt, wie der Nebenerwerbsschäfer aus dem 350-Einwohner-Dorf Widdern-Unterkessach im Kreis Heilbronn berichtet. Ein drittes Tier war so verletzt, dass Straußberger es notschlachten musste. Er rief die Polizei, der Jagdpächter kam hinzu. Er war geschockt.

Die Männer fragten sich: Wer macht so was? Wilderne Hunde? Oder etwa ein Wolf? Sie stellten Wildkameras auf, ließen die Kadaver liegen, um zu sehen, ob und wer zurückkommt. Vergeblich. Erst die genetische Untersuchung von Proben der getöteten Lämmer gibt Gewissheit: Zum ersten Mal seit 100 Jahren hat ein Wolf Schafe im Südwesten gerissen, teilte das Umweltministerium gestern mit. Die Wolfsexperten von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg ahnen, dass es sich um jenen Wolf handelte, der am 3. September im hessischen Teil des Odenwalds gesichtet wurde. Die Wildbiologin Judith Ohl hält ihn für ein Jungtier, das die Region nördlich von Heilbronn auf der Suche nach einem Revier durchstreift hat. Obwohl er sich hauptsächlich von Wildtieren ernähre, fresse er auch Schafe, wenn sie einfacher für ihn erreichbar seien. Die Lämmerweide war nicht umzäunt, sondern nur durch den Bach Kessach und einen Mühlkanal abgegrenzt - für einen Wolf kein Hindernis.

Schafhalter Straußberger kann in den nächsten Wochen mit Geld vom Naturschutzbund (Nabu) rechnen, der den Ausgleichsfonds Wolf verwaltet und jetzt erstmals Geld auszahlen muss. Je nach Rasse, Alter, Geschlecht bekommt der Halter zwischen 50 Euro und 400 Euro pro gerissenem Tier. „Dieser erste Riss in Baden-Württemberg zeigt: Die Rückkehr des Wolfs steht unmittelbar bevor“, sagt Nabu-Wolfsexpertin Felicitas Rechtenwald. Wölfe sind streng geschützt, wer sie abschießt, begeht eine Straftat.

Den Schafzüchtern geht das zu schnell. Die Ideen aus einem gemeinsam mit dem Nabu betriebenen und vom Land mit 200 000 Euro unterstützten Pilotprojekt zum Herdenschutz müssten erst noch umgesetzt werden, sagt die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands, Anette Wohlfarth. Mehrere Schäfer hätten gestern nach der Nachricht vom Wolfsriss beim Verband angerufen und gefragt: „Was machen wir jetzt?“ Wohlfarth teilt ihre Sorge.

Potenzial für politischen Streit

Das Thema hat im Land Potenzial zum politisches Streit zwischen den Koalitionspartnern. Während das grüne Umweltministerium auf Herdenschutz und Ausgleichszahlungen nach einem Wolfsriss setzt, will Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) Wölfe auch jagen dürfen. Vor allem wenn sie Nutztiere fressen, statt Wildtiere zu jagen.

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) bittet Nutztierhalter, nicht in Panik zu verfallen. Sein Ministerium weist außerdem darauf hin, dass es ungewiss sei, ob der Wolf überhaupt in der Region bleibe. Wohlfarth warnt jedoch davor, die Gefahr herunterzuspielen. Ein Wolfsangriff könne für Schäfer existenzgefährdend sein, beispielsweise wenn eine Herde flüchte und außerhalb der Weide Schaden anrichte. Der Herdenschutzbeauftragte der Rinderunion, Torsten Sommer, fordert Rechtssicherheit, dass dem Tierhalter alle Schäden ersetzt werden, die in der Folge eines Wolfsangriffes entstehen. Und er will Schmerzensgeld für die Tierhalter, die mit dem ideellen Verlust und dem psychischen Belastung klar kommen müssten, wenn ein Tier gerissen wird.