Kai Buschmann, Initiator des Rundwanderwegs, auf dem jüdischen Friedhof von Hochberg. Foto: oh - oh

Im Rahmen der Remstal-Gartenschau ist der Rundwanderweg „Jüdische Spuren in Remseck“ eröffnet worden.

RemseckWer heute nach Hochberg kommt, folgt nicht mehr automatisch den historischen Pfaden entlang der naturgegebenen Straßen von Neckar und Rems – jenen verwunschenen Fußwegen durch die Auen im Mündungsbereich, wo einst wenige Hundert Meter hinter dem langen Sandstrand, der jetzt bei hochsommerlichen Temperaturen wieder die ersten Badegäste anlockt, unsichtbare Staats- und Kulturgrenzen verliefen. Die Schranken, die den jüdischen Bewohnern Hochbergs einen klar abgegrenzten Bezirk für das gesetzeskonforme Leben am Sabbat zuwiesen, sind längst verschwunden. Doch es gibt im heutigen Remseck noch jede Menge sichtbare Spuren jüdischen Lebens. Zu ihnen führt ein neuer, etwa sechs Kilometer langer Rundwanderweg, der jetzt in Anwesenheit der Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland, Sandra Simovich, und der Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Ländlichen Raum, Friedlinde Gurr-Hirsch, offiziell eröffnet wurde. Konzipiert wurde er von dem Historiker und Theologen Kai Buschmann, der als Schulleiter in Stuttgart arbeitet.

Hoch über dem „Zweistromland“ hatten sich bereits unter den Freiherren von Gemmingen seit den 1760er-Jahren die ersten Juden in Hochberg niedergelassen. Ihre Aufnahme war nicht unbedingt Ausdruck interreligiöser Willkommenskultur, sondern entsprang in erster Linie nüchternem ökonomischem Kalkül. Im Herzogtum Württemberg waren Juden seit dem ausgehenden Mittelalter nicht mehr geduldet. Auf der anderen Seite stellten die sogenannten Schutzjuden für solche kleineren Herrschaften, die nur dem fernen Kaiser in Wien untertan waren, eine willkommene Einnahmequelle dar. Denn neben einer Aufnahmegebühr hatten die Zugezogenen jährliche Schutzzahlungen zu leisten. Auch als der neue Herr von Hochberg am Ende des 18. Jahrhunderts Carl Eugen hieß, änderte sich für die ansässigen Schutzjuden nichts – der württembergische Landesherr schlug die neue Herrschaft seinem herzoglichen Kammergut zu, sodass hier das territoriale Niederlassungsverbot nicht wirksam wurde.

Zeichen gegenseitiger Akzeptanz

Die gemeinsame Geschichte von Christen und Juden in dem ehemaligen reichsritterschaftlichen Dorf hat das Ortsbild nachhaltig geprägt. Wenn man von den Neckarauen durch die Staffeln der ehemaligen Weinberge hinauf in den Schlossbereich kommt, fallen im Schatten der imposanten Anlage sogleich zwei Dinge auf: zum einen der an der Schlosskirche angebrachte Davidstern. Beim Neubau des Gotteshauses in der Mitte des 19. Jahrhunderts, also in der Boom-Phase der jüdischen Gemeinde, als auf die knapp 500 christlichen Einwohner rund 300 jüdische kamen, wurde zudem die traditionelle Ostung aufgegeben und die neue Kirche nach Nordwesten geschwenkt – sie lag nun in einer Achse mit der neuen Synagoge weiter oben im Dorf. Knapp zehn Jahre, nachdem in Hochberg mit Abraham Herz der wohl erste Jude im Königreich Württemberg in einen Gemeinderat gewählt worden war, wurde so auch architektonisch ein eindrückliches Statement einer nicht immer konfliktfreien, aber letztlich erfolgreichen Integration und gegenseitigen Akzeptanz gesetzt.

Das Zweite, was beim Blick auf die Hochberger Hauptstraße ins Auge springt, ist die enge Häuserflucht, die heute den Strom der Massenmobilität einbremst. Auch hier bietet die Architektur einen Fingerzeig – in diesem Fall auf die erwerbsmäßigen und rechtlichen Beschränkungen der Hochberger Juden, die überwiegend vom Vieh- und Pferdehandel lebten: „Da sie keine Landwirtschaft betreiben durften, brauchten sie auch keinen Platz für Misthaufen vor ihrer Haustüre“, erklärt Buschmann.

Aber es gab jüdische Gastwirtschaften wie die „Krone“ oder die „Rose“ – und letztere bot als sogenannte Schildwirtschaft nicht nur koscheres Essen an, sondern auch Übernachtungsmöglichkeiten: ein auch mit Blick auf den sozialen Frieden im Ort nicht unwichtiger Aspekt, denn durch die am Freitagabend nach Hochberg einströmenden „Betteljuden“, die den Sabbat zusammen mit ihren Glaubensgenossen verbringen wollten, gab es nicht selten Stress – unter den Juden selbst, aber auch mit der christlichen Bevölkerung.

Aufstieg und Niedergang, Blüte und Verfall wohnen im Herzen Hochbergs nebeneinander. Im zurückgesetzten Gebäude mit der Hausnummer zehn wohnte der Judenvorsteher Gabriel Dreifuß. Sein Sohn Samuel schrieb nicht nur als erster jüdischer Medizinstudent in Württemberg Geschichte, sondern spielte auch bei der Gründung des israelitischen Waisenhauses „Wilhelmspflege“ in Esslingen Anfang der 1840er-Jahre eine maßgebliche Rolle.

Das Nachbarhaus der „Rose“ erzählt die Geschichte der Fortgezogenen. Hier lebte einst der Metzger und Viehhändler Adolf Falk, der 1939 mit über 80 Jahren zu seinem Sohn nach London emigrierte. Die jüdische Gemeinde gab es damals schon lange nicht mehr. Sie war bereits 1914 aufgelöst worden, der Exodus vor allem jüngerer jüdischer Gemeindemitglieder, die es in die Städte und hinaus in die weite Welt zog, hatte schon einige Jahrzehnte zuvor nach der vollen bürgerlichen Gleichstellung eingesetzt.

Mutiger Sonnenwirt

Dass die im klassizistischen Stil erbaute neue Synagoge heute unversehrt besichtigt werden kann, ist vor allem dem mutigen Einschreiten eines Hochberger Gastronomen zu verdanken, sagt Pastor Dieter Jäger von der evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde: Der Wirt der neben der Synagoge gelegenen „Sonne“ stellte sich in der Reichspogromnacht 1938 mutig den angereisten SA-Schergen in den Weg, die offenbar in Unkenntnis der neuen Besitzer im Begriff waren, die vermeintliche Synagoge, die längst von der methodistischen Kirche genutzt wurde, niederzubrennen.

Nicht so gut erging es den vielen steinernen Zeugen auf dem 1795 angelegten jüdischen Friedhof von Hochberg, der vorletzten Station dieses Rundwanderwegs. Hier liegen auch Stuttgarter und Cannstatter Juden begraben wie Isak Elsas, Ahnherr der Textil- und Politiker-Dynastie Elsas, welcher nicht zuletzt der ehemalige Landtagsabgeordnete Fritz Elsas entstammt. Der auf einem baumgesäumten Hochplateau über dem Neckar idyllisch versteckte und von einer Steinmauer umfasste Gottesacker wurde vom Hochberger Nazi-Mob geschändet. Die amerikanische Militärregierung ließ die Täter höchstpersönlich das zerstörte Paradeislein wieder instandsetzen, sodass heute die ursprüngliche Ordnung der sichtlich von Vergänglichkeit und Verfall gezeichneten Grabmale, 246 an der Zahl, weitgehend wiederhergestellt ist, so Buschmann. Die ältesten sind mit rein hebräischen Inschriften versehen, die jüngeren mit gemischten oder deutschen Texten. Neben jüdischer und christlicher findet sich auch weltliche Symbolik, neben repräsentativen Monumenten wie denen des steinreichen Bankiers-Clans der Kaullas gibt es unscheinbare Grabmale, die verwaist an der Friedhofsmauer lehnen: Es ist ein vielstimmiger steinerner Chor, dem man noch im düstersten Nachhall antisemitischer Barbarei den farbenfrohen Klang von gelungener Emanzipation und Assimilation ablauschen kann.

Eine andere Art der „Bestattung“ wird an der letzten Station dieser faszinierenden Geschichtsreise im ehemaligen Neckarremser Schulhaus lebendig. Dort sind im Jüdischen Zimmer des von Helga Schlieter liebevoll betreuten heimatgeschichtlichen Museums in einer Vitrine ausgediente kultische Gegenstände und religiöse Schriften ausgestellt: das verborgene Erbe der jüdischen Gemeinde Hochbergs, das man unter dem Dachgebälk der Synagoge dem Vergessen entrissen hat. Im „Allerheiligsten“ dieses Zimmerchens finden sich freilich auch ganz profane Dinge. Jüdische und christliche Taschenkalender zum Beispiel, die unverzichtbaren Organizer dieser hochmobilen Hochberger Pendler zwischen zwei Heilszeiten und Arbeitswelten. Auf dem Rückweg zur Flussmündung folgt man noch einmal ihren inzwischen unsichtbaren Spuren „Am Remsufer“: So heißt heute die einstige Judengasse schlicht und wenig ergreifend.

Informationen

Die erste öffentliche Führung über den neuen Rundweg wird am Sonntag, 30. Juni, angeboten; weitere Termine am 7. Juli, 4. August, 1. September und 6. Oktober sowie auf Anfrage.

www.remstal.de