Von Hermann Neu

Stuttgart - Seit einem Jahr ist die von der damaligen grün-roten Landesregierung vorangetriebene Reform der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Kraft. Der Verein Mehr Demokratie zieht eine positive Bilanz, mahnt aber zu weiteren Reformen: Beispielsweise soll es Mitbestimmung der Bürger auch bei Themen geben, über die in den Kreistagen entschieden wird.

Der Landessprecher von Mehr Demokratie, Edgar Wunder, sieht durch die Reform vieles verbessert. Die im laufenden Jahr bisher 40 Bürgerbegehren mit dem Ziel, einen Bürgerentscheid herbeizuführen, sowie die letztlich 27 Bürgerentscheide bedeuteten einen kräftigen Zuwachs gegenüber nur 21 Bürgerbegehren und 17 Bürgerentscheiden im Jahr davor, berichtete er gestern in Stuttgart. Baden-Württemberg hat sich laut den aktuellen Daten in der bundesweiten Reihenfolge der Bürgerbeteiligung damit vom letzten Platz auf einem Mittelplatz vorgearbeitet.

Bei den bisher 27 Bürgerentscheiden 2016 hatten allerdings lediglich 3,7 Prozent der etwa acht Millionen Berechtigten bei Kommunalwahlen im Land die Gelegenheit, abzustimmen. Dabei war die Beteiligung mit 52 Prozent der Stimmberechtigten allerdings höher als der Durchschnitt bei Bürgermeisterwahlen von 43 und bei Kommunalwahren von 51 Prozent.

38 der Prozent der Bürgerbegehren, die mit der nötigen Stimmenzahl eingereicht wurden, scheiterten aber, weil sie wegen restriktiver Formvorschriften für unzulässig erklärt wurden. Hier hofft der Verein auf zusätzliche Veränderungen, in Bayern beispielsweise beträgt die Quote der Unzulässigkeit lediglich 15 Prozent. Bei etwa der Hälfte der gültigen Bürgerentscheide setzte sich die Bürgerbegehrens-Initiative durch. Meist ging es um besondere öffentliche Einrichtungen wie Bäder oder den Erhalt von Gebäuden wie Turnhallen (sieben Fälle). Weitere Themen waren die Abschaffung der unechten Teilortswahl, Verkehrsprojekte oder die Bebauung von Freiflächen.

Als „vielleicht größtes Versäumnis“ der zum 1. Dezember 2015 in Kraft getretenen Reform sieht Wunder, dass es keine Mitwirkung bei Themen gibt, über die die Kreistage entscheiden. In fast allen Bundesländern sei dies übliche Praxis.

Anfängliche Befürchtungen, künftig würden vermehrt mögliche Standorte von Flüchtlingsunterkünften durch Bürgerentscheide attackiert, haben sich nicht bestätigt. Nur zwei Abstimmungen hat es zu diesem Thema gegeben, sie wären laut Wunder auch nach alten Recht möglich gewesen. In einem Fall wurde in Waldburg (Kreis Ravensburg) mit drei Stimmen Vorsprung eine Unterkunft knapp verhindert. In Korntal-Münchingen billigten die Bürger dagegen ein Heim, das wegen seiner unmittelbaren Nähe zum Friedhof umstritten war.