Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, spricht bei einem Interview. Foto: Sebastian Gollnow/dpa - Sebastian Gollnow/dpa

Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer übt Berlin-Schelte - und erntet wiederum Schelte aus der Hauptstadt. Die Berliner Christdemokraten dagegen sehen sich bestätigt.

Berlin/Tübingen (dpa/lsw)Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat mit Äußerungen über die öffentlichen Strukturen Berlins für Aufsehen gesorgt. «Wenn ich dort ankomme, denke ich immer: "Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands"», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstag). Es klappe in Berlin einfach gar nichts. «Ich komme mit dieser Mischung aus Kriminalität, Drogenhandel und bitterer Armut auf der Straße als spießbürgerliche baden-württembergische Grünen-Pflanze schlicht nicht klar. Ich will diese Verhältnisse in Tübingen nicht.»

Auf seiner Facebook-Seite ergänzte Palmer am Dienstag: «BER. S-Bahn. Öffentliche Schulen. Sicherheit auf Plätzen. Völlig überlastete Ämter und zig Milliarden Schulden.» Berlin sei ein failing state - also ein gescheiterter Staat, der seine Funktionen nicht mehr erfüllt.

Die Reaktionen folgten prompt. Palmers Parteikollegin, die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, twitterte: «Lieber #BorisPalmer, niemand zwingt dich, nach #Berlin zu kommen. Wenn Du Metropole, Vielfalt, Tempo und Lebenslust nicht erträgst, kannst du woanders die Kehrwoche zelebrieren und Dich als Hilfssheriff blamieren.»

Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) zufolge gibt es in der «Fast-Vier-Millionen-Stadt» Berlin besondere Probleme, Anforderungen und Dynamiken. «Die sind nun in der dörflichen Struktur, in der Herr Palmer arbeitet, so nicht zu finden.»

Die Berliner Union griff Palmers Kritik dagegen dankbar auf: «Es sollte die Grünen nachdenklich stimmen, dass der Rest der Republik die politische Wurstigkeit des Senats regelmäßig lautstark beklagt», teilte der Generalsekretär des CDU-Landesverbands Berlin, Stefan Evers, mit.

Burkard Dregger, Vorsitzender und innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Senat, sagte: «Es ist ein Alarmsignal, wenn Berliner und unsere Besucher sich zunehmend unsicher fühlen in unserer Stadt.» Palmers Aussagen seien eine Ohrfeige für Senat und Koalition, vor allem aber für seine mitregierenden Grünen-Parteifreunde in Berlin.

Dregger lud Palmer zu einem Treffen in Berlin ein. Er wolle dem Tübinger OB Strategien vorstellen, mit denen die Berliner CDU-Fraktion die tatsächliche und gefühlte Sicherheit in der Hauptstadt verbessern will. Dregger forderte außerdem den Senat auf, eine Umfrage zum Sicherheitsgefühl unter Einwohnern und Besuchern zu veranlassen.

Palmer hat in seiner Stadt im Januar 2018 solch eine Umfrage durchführen lassen. Damals gaben 54 Prozent der Befragten an, sich sicher zu fühlen, wenn sie bei Dunkelheit in Tübingen unterwegs seien. Bei 55 Prozent der Teilnehmer ist das Sicherheitsgefühl ihren Angaben nach in den vergangenen Jahre gesunken. Tübingen hat daraufhin die Anzahl der Nachtstreifen des kommunalen Ordnungsdienstes vervierfacht.