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Kirchliche und religiöse Bindungen werden bei Schülern seltener. Das heißt aber nicht, dass kein Bedarf an Wertevermittlung besteht - im Gegenteil. Das Land trägt dem nun Rechnung.

Stuttgart (dpa/lsw) Was ist gut, was ist böse? Philosophische Fragen wie diese sollen künftig mehr Schüler im Ethikunterricht an den Südwest-Schulen diskutieren können. «Gemeinsam über unsere Normen und Werte zu sprechen, ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je», sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) - früher selbst Ethik-Lehrer - am Dienstag in Stuttgart. Die wachsende Zahl von Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnähmen, müsse eine Alternative erhalten. Mehr als jeder zweite Werkreal- und Hauptschüler verzichtet auf Religionsunterricht, bei den Gymnasiasten ist es knapp ein Viertel.

Kretschmann nannte als Säulen des Ethikunterrichts, den er nach eigenem Bekunden selbst mit viel Freude an einem Sigmaringer Gymnasium erteilt hat: Philosophie, Religionskunde und gesellschaftliche Fragen. Es sei sehr wichtig, dass Schüler Grundkenntnisse aller Weltreligionen bekämen.

Die Landesregierung will den Ethikunterricht an den weiterführenden Schulen schrittweise ausbauen. Dafür soll die Wertevermittlung mit dem Schuljahr 2019/2020 in Klasse 7 an allen Schularten außer dem Gymnasium beginnen. In den beiden Folgejahren soll der Unterricht in Klasse 6 beziehungsweise in Klasse 5 an allen allgemeinbildenden Schulen starten. Kosten im Endausbau: 21 Millionen Euro pro Jahr.

Bisher wird Ethik als Ersatzfach für den Religionsunterricht an den Gymnasien ab Klasse 7 und allen anderen weiterführenden Schulen ab Klasse 8 angeboten. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kündigte auch an, dass nach der Einführung des verpflichtenden Ethikunterrichts an den weiterführenden Schulen die Grundschulen in den Blick genommen werden. Dafür erarbeite das Landesinstitut für Schulentwicklung jetzt die Bildungspläne. Der Startschuss für den Einstieg in den Ethikunterricht an Grundschulen könnte dann im Schuljahr 2022/23 fallen.

Der Verband Bildung und Erziehung kritisierte, dass mit dem Ausbau des Ethikunterrichts nicht im Primarbereich begonnen werde. «Denn dort brennt es eigentlich, weil die Aufsichtsproblematik hier die größte Rolle spielt», sagte Landeschef Gerhard Brand mit Blick auf Probleme bei der Aufsicht von Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Er forderte - ebenso wie die Landtags-SPD und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - die möglichst schnelle Einführung des Ethikunterrichts ab Klasse 1.

Eisenmann ordnete das Angebot Baden-Württembergs an Ethikunterricht im Ländervergleich als durchschnittlich ein - «nicht Musterländle, aber auch nicht Laterne». Die zweijährige Verzögerung des Ausbaus sei fehlenden Bildungsplänen geschuldet gewesen. «Das Angebot ist überfällig.» Die Landtags-FDP warf den beiden grünen-geführten Regierungen vor, dieses wichtige Vorhaben verschleppt zu haben.

Die Evangelische Landeskirche Württemberg hält den geplanten Ausbau für sinnvoll. «Für die demokratisch-plurale Gesellschaft ist der Ethikunterricht notwendig», betonte Dan Peter, Kirchenrat der Evangelischen Landeskirche Württemberg. Der evangelische Religionsunterricht sei ein bislang sehr gut angenommenes offenes Angebot für alle Schüler, sagte Peter. «Die Einführung eines flächendeckenden Ethikunterrichts kann, muss aber daran zwangsläufig nichts ändern.» Die Herausforderung sei es, mit gutem - auch interreligiösem Unterricht - die Schüler zu gewinnen.

Im Schuljahr 2016/17 war an allen Schularten außer den beruflichen im Bereich der Landeskirche Württemberg rund ein Viertel der Teilnehmer am evangelischen Religionsunterricht nicht evangelisch. Die meisten darunter waren nicht getaufte Schüler. Im Schuljahr 1998/99 waren es der Kirche zufolge 9,7 Prozent.

An den weiterführenden Schulen lehren bereits mehr als 1000 Lehrer das Fach Ethik. Diese werden für den ersten Schritt ihren Fokus stärker auf den Ethiklehrauftrag legen. Überdies wird das Land zusätzliche Lehrkräfte für dieses Fach einstellen, allein für die erste Stufe 71.