Werbung für Abtreibungen bleibt verboten - aber die Informationen für Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, sollen verbessert werden. Darauf hat sich die Bundesregierung verständigt. Doch es gibt viel Kritik an Paragraf 219a StGB. Foto: dpa - dpa

Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, werden laut Gudrun Christ immer rarer. Paragraf 219a StGB muss also weg, findet die Geschäftsführerin von pro familia Baden-Württemberg.

StuttgartWerbung für Abtreibungen bleibt verboten, Frauen sollen aber auch im Internet einfacher an Infos dazu rankommen – nach langem Ringen hat die Bundesregierung zu einer Lösung gefunden. Doch die Diskussion nimmt kein Ende. Während die Bundesärztekammer am Dienstag von einem „tragfähigen Kompromiss“ sprach, der Rechtssicherheit schaffe, fordert die Beratungsorganisation pro familia die Streichung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches (StGB). Die Geschäftsführerin des Landesverbands Baden-Württemberg, Gudrun Christ, erklärt warum.

Frau Christ, Ihre Einrichtung berät schon seit Jahren Frauen, die mit einem Schwangerschaftsabbruch hadern – und bislang sicherlich Schwierigkeiten haben, an Infos etwa zu Ärzten zu kommen, die solche vornehmen. Ist das, was bislang vom Gesetzentwurf bekannt ist, aus Ihrer Sicht positiv oder negativ zu bewerten?

Der Gesetzentwurf ist eine große Enttäuschung. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) bleibt weiter bestehen und damit das prinzipielle Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten und die Bevormundung von Frauen, die im Einklang mit der geltenden Rechtslage einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchten. Das Informationsverbot, dem Ärztinnen und Ärzte nach Paragraf 219a bisher unterliegen, wird nur minimal gelockert. Sie sollen künftig öffentlich äußern dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen – aber schon nichts mehr zu Methoden und Bedingungen in ihrer Praxis. So bleibt weiter strafbar, was eigentlich ärztliche Pflicht ist, nämlich umfassend über ihre medizinische Dienstleistung zu informieren. Frauen müssen sich weiter aufwendig um diese Informationen kümmern. Wir halten es auch nicht für sehr realistisch, dass sich die Regelung befriedigend umsetzen lässt, wonach Ärztekammern monatlich alle notwendigen Informationen aktualisiert zur Verfügung stellen sollen – unter anderem Listen der Mediziner, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Wer lässt sich auf solche Listen setzen, wenn der Paragraf 219a StGB weiter besteht? Schon bislang sind Listen Dritter möglich und werden fleißig von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern veröffentlicht, garniert mit Beschimpfungen, Verunglimpfungen und Aufrufen zu Belagerungen der Praxen. Übrigens einer der Gründe dafür, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte Abbrüche vornehmen wollen und Frauen oft lange Wege auf sich nehmen müssen.

Welche Frauen kommen zu Ihnen, um sich zum Thema Schwangerschaftsabbruch beraten zu lassen? Und warum?

Frauen jeglichen Alters, aus unterschiedlichster sozialer und beruflicher Situation und unterschiedlichem Beziehungsstatus, übrigens auch unabhängig von der religiösen Überzeugung. Ungewollte Schwangerschaften kommen vor, selbst bei bester Verhütung. Die bundesweite Statistik zum Schwangerschaftsabbruch sagt, dass 40 Prozent der Frauen verheiratet sind, 60 Prozent bereits Kinder haben – das bildet sich auch bei uns in der Beratung ab.

Wie groß ist der Anteil der Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen, die Beratung suchen?

Das können wir nicht sagen, das entscheiden die Frauen. Zwischen Beratung und Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen. Die Statistik verzeichnet aber sehr viel mehr Beratungsfälle als durchgeführte Abbrüche. Für Baden-Württemberg veröffentlichte das Sozialministerium 15 600 Beratungsfälle im Jahr 2016, dagegen nur 8537 Schwangerschaftsabbrüche. Das heißt, ein großer Teil der ungewollt schwangeren Frauen, die zur Beratung kommen, entscheidet sich gegen den Schwangerschaftsabbruch und dafür, Mutter zu werden.

Welche Wege gehen Frauen bislang, um eine Abtreibung zu erreichen? Gibt es auch illegale Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland?

In Deutschland muss jede Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, sich bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Sie kann dort über alle Anliegen sprechen, die sie in ihrer Situation beschäftigen und erhält alle Informationen, die sie für ihre Entscheidung braucht. Die Beratung ist vertraulich und ergebnisoffen. Zum Glück muss keine Frau mehr illegal und unter Gefährdung ihrer Gesundheit einen Abbruch vornehmen: Wir haben eine Rechtslage, die es Frauen bei ungewollter Schwangerschaft ermöglicht, die letztendliche Entscheidung darüber zu treffen, ob sie Mutter werden will.

Was wird sich, sollte der Gesetzentwurf so beschlossen werden, mutmaßlich ändern? Wird es mehr Schwangerschaftsabbrüche geben?

Es ist eine absurde Vorstellung, dass sich Frauen zum Schwangerschaftsabbruch entschließen, weil sie auf der Homepage ihrer Ärztin oder ihres Arztes erfahren, dass dieser medizinische Eingriff dort angeboten wird. Keine Frau geht leichtfertig mit dem Thema um. Daher wird es nicht mehr Abbrüche geben, wenn Frauen leichter an Informationen kommen. Wir bezweifeln aber, dass Frauen mit dieser Änderung wirklich leichter an Informationen kommen.

Was wünschen Sie sich zusätzlich an Infrastruktur oder in Bezug auf die Rechtslage beim Thema Abtreibungen?

Die Debatte um eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland erbittert geführt worden und hat zu dem Kompromiss geführt, der nun schon über 20 Jahre gilt und im Schwangerschaftskonfliktgesetz Niederschlag gefunden hat. Auch wenn dieser Kompromiss nicht vollkommen zufriedenstellend ist: Diese Debatte sollte nicht mit der Debatte um den Paragrafen 219a StGB vermischt werden, der mit der eigentlichen Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch gar nicht zu tun hat.

Wir wünschen uns ein gesellschaftliches Klima, in dem Schwangerschaftsabbruch nicht als Tabuthema behandelt wird und diejenigen, die nach Recht und Gesetz die medizinische Dienstleistung Schwangerschaftsabbruch anbieten, nicht in die Schmuddelecke geschoben werden. Dass offen darüber geredet werden kann. In vielen Landkreisen gibt es bereits jetzt keinen Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen. Die Versorgung muss aber sichergestellt werden. Deswegen halten wir an der Streichung des Paragrafen 219a StGB fest.

Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben ist ein hoher Wert. Und nirgends auf der Welt sind die Abbruchzahlen niedriger als in Ländern mit liberaler Regelung zum Schwangerschaftsabbruch.

Zu Person und Verein

Gudrun Christ, Diplom-Pädagogin, ist seit 2014 Geschäftsführerin des pro-familia-Landesverbands Baden-Württemberg. Der Verein hat 19 Beratungsstellen (auch in Stuttgart und Kirchheim). Er berät zu Familienplanung, Sexualität und damit verbundene Konflikte. Laut Christ geht es bei einem Fünftel der Schwangerenberatungen um ungewollte Schwangerschaften.