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Al Capone gibt's nicht mehr. Heute kommen Mafiosi als smarte Geschäftsleute daher. Sie tauchen auf, wo Geschäfte hohe Rendite versprechen - vor allem im prosperierenden Südwesten.

Stuttgart (dpa/lsw)Nach der Mafia-Razzia Anfang Januar in mehreren Bundesländern könnten erste gefasste Verdächtige noch im Februar an die italienischen Behörden übergeben werden. Stimmen die Festgenommenen einer vereinfachten Auslieferung zu, könne es sehr schnell gehen, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart bestätigte. In Baden-Württemberg waren bei der internationalen Razzia gegen den 'Ndrangheta-Clan Farao-Marincola vier Verdächtige festgenommen worden, einer aus dem Rems-Murr-Kreis bei Stuttgart ist inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Bei den drei verbliebenen im Südwesten Festgenommenen sei die Prüfung der Zulässigkeit einer Auslieferung an Italien noch nicht abgeschlossen. Sie sitzen weiter in Auslieferungshaft. Bundesweit waren für die italienischen Behörden zunächst elf mutmaßliche Mafiosi festgenommen worden. Ihnen werden unter anderem Erpressung und Geldwäsche vorgeworfen. Die italienischen Ermittler hatten bei den deutschen Behörden um Rechtshilfe gebeten. Insgesamt waren bei der Razzia rund 160 mutmaßliche Mafia-Mitglieder festgenommen wurden.

HINTERGRUND: Die Mafia im Südwesten

Zu was die 'Ndrangheta fähig ist, hat sich vor gut zehn Jahren gezeigt. Am 15. August 2007 werden bei einem Attentat sechs Italiener aus Kalabrien mit Kopfschüssen hingerichtet. Vor einer Pizzeria in Duisburg. Als "völlig untypisch" bezeichnet Ullrich Gruber, Inspektionsleiter Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg, diese Tat heute noch. Die inzwischen wohl mächtigste Mafia-Organisation wirke im Stillen. "Die machen ihre Geschäfte lieber im Halbdunkeln." Leichen seien dem abträglich. Auch im Südwesten ist die 'Ndrangheta aktiv. Seit Januar sitzen erneut mehrere mutmaßliche Mafiosi in Auslieferungshaft.

Das prosperierende Stuttgart sei ein besonders gutes Pflaster für Geschäfte - und sei somit attraktiv auch für krumme Deals, sagt Gruber. Nach dem Krieg hätten sich etliche Kalabresen hier angesiedelt, andere kamen nach. Und mit ihnen die Mafiosi. Die dritte Generation habe einen Platz in der Mitte der Gesellschaft errungen. Über Geschäfte in der Bauindustrie, im Immobilienhandel oder in der Gastronomie seien sie in höchste Gesellschaften vorgedrungen.

Wie tief die Verflechtungen reichen, zeigt sich am jetzt in Italien festgenommenen Mario L., einem Gastronom, der zwischen seiner Pizzeria bei Stuttgart und seiner Ferienanlage in Kalabrien pendelt. Mitte der 90er-Jahre sorgte er als Duz-Freund des CDU-Fraktionschefs und späteren Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) für Aufsehen. Der heutige EU-Kommissar zählte zu seinen Stammgästen.

Dessen Festnahme kommentierte Oettinger distanziert: Während der Zeit, als er noch Kontakt zu Mario L. hatte, habe er keinerlei Hinweise darauf gehabt, dass dieser in kriminelle Machenschaften verstrickt sein könnte. Die Pizzeria von Mario L. beschrieb Oettinger als ein "Stammlokal der jungen Generation" - etwa der Jungen Union.

Laut Europol dominiert die 'Ndrangheta den europäischen Kokainhandel. Millionen macht sie aber auch mit Bauprojekten, Versicherungsfällen und Müllentsorgung. Den elf Anfang des Jahres in Deutschland Festgenommenen wird unter anderem Geldwäsche und Erpressung vorgeworfen. Sie sollen im Handel von Lebensmitteln wie Wein, Molkerei-Produkten und Öl mitgemischt haben. Mit mafiösen Methoden seien kalabrische Restaurants dazu gebracht worden, Weine lediglich von Unternehmen anzukaufen, die die 'Ndrangheta kontrolliert.

"Da braucht es gar keine Gewalt. Da reicht es, schöne Grüße aus Kalabrien auszurichten", erklärt Gruber die Mechanismen. "Das geht ganz subtil und ist strafrechtlich kaum zu fassen." Manches beginne mit einer Einladung zum Essen, einer großzügigen Spende oder einer Kiste Wein. Hinzu komme, dass die Opfer nicht mit der Polizei reden. "Dann zahlt man halt das Schutzgeld, weil das schon immer so war und man keinen Ärger haben will." Die Opfer müssten ihr Schweigen brechen. Gruber sieht jedoch eine "Mauer des Schweigens".

Die 'Ndrangheta gilt mit geschätzt rund 350 Mitgliedern als die größte Mafia-Gruppe in Deutschland, gefolgt von der Cosa Nostra mit 125 Mitgliedern und der Camorra mit knapp 100 Mitgliedern. Überall da, wo es um lukrative Aufträge, Zulassungen oder Baugenehmigungen geht, müsse man sensibel sein, sagt Sabine Vogt, Abteilungsleiterin Schwere und Organisierte Kriminalität beim BKA. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg geht allein von 150 Mafiosi im Südwesten aus. In engsten Familienverbünden. «Blut ist dicker als Wasser», sagt Grube.

Die jetzt Festgenommenen seien zum Teil seit Jahren unter Verdacht. "Die deutsche Polizei weiß viel", sagt Grube. "Die Frage ist nur: Kann ich es gerichtsverwertbar beweisen?" Als die Namen für die Januar-Razzia bekannt wurden, sei die Überraschung jedenfalls nicht groß gewesen.

Die Ermittlungen glichen einem Puzzlespiel. Irgendwann sei dann das letzte Teilchen da. Häufig komme das aus Italien. Ohne enge Zusammenarbeit komme man nicht weit. Fast 170 mutmaßliche Mafiosi wurden Anfang Januar festgenommen, die meisten in Italien.

Das System hinter allem ist, Geld aus kriminellen Machenschaften, etwa aus Kokaingeschäften oder Waffengeschäften, zu waschen. Aus einer Pizzeria werden zwei, erklärt LKA-Sprecher Ulrich Heffner. Man kauft Gebäude, dehnt seinen Einfluss aus, baut vielleicht ein Altenheim als neues Teil im Imperium - und um an Ansehen zu gewinnen. "Mit dem legalen Geld kann ich wieder die nächste Pizzeria aufmachen, Gebäude kaufen, schleichend den Einfluss ausdehnen", erklärt Gruber.

Interessant sei alles mit hoher Rendite und niedrigem Risiko. Das Bild habe sich gewandelt - vom Al-Capone-Verbrecher zum smarten Geschäftsmann. Sie stehen im Wettbewerb, sind durch illegale Gelder aber finanzstärker. Etwas Habhaftes zu ermitteln, sei extrem schwer, sagt Gruber. "Man muss ja erst mal nachweisen, wo das Geld herkommt", beschreibt Gruber das Problem auf deutscher Seite, "und da sind wir oft auf die italienischen Behörden angewiesen".

Die Experten beim LKA gehen nach den Festnahmen nur von einem kurzen Schock für die kalabrische Gemeinschaft aus. "Die werden sich neu organisieren, das Geld will ja weiter verdient werden", sagt Gruber. "Da rückt einer auf und füllt die Lücke." Vorsichtiger vielleicht. "Aber man wird schon gucken, dass die Gelddruckmaschine weiterläuft."