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Immer wieder Unfälle mit Toten und Verletzten an Baustellen - kann man da noch von sicheren Autobahnen sprechen? Man kann, sagen Unfallforscher. Doch es gebe viel zu verbessern.

Karlsruhe (dpa/lsw) - Blaulicht, Martinshörner, kreisende Hubschrauber und lange Staus - an der Großbaustelle der A5 zwischen Karlsruhe und Rastatt ist das schon fast normal. Nahezu täglich kracht es dort. Seit Ende Juni zählte die Polizei rund 90 Unfälle in und vor der Baustelle in beiden Richtungen. Die A5 ist keine Ausnahme. Besonders ein Phänomen nimmt bundesweit auf Autobahnen zu: «Unfälle vor einer Baustelle werden zu einem zunehmenden Problem», sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer.

Nicht alle enden so tragisch wie ein Auffahrunfall bei Karlsruhe am 27. Juni: Dabei starb eine junge Reiseleiterin, als ihr Bus am Stauende vor der gerade eingerichteten A5-Dauerbaustelle auf einen Müllwagen fuhr. 31 Menschen wurden verletzt.

Der Unfall davor ist aber meist gravierender als der in der Baustelle selbst. Seit Ende Juni wird zwischen Karlsruhe und Rastatt auf elf Kilometern die Fahrbahn erneuert. In der Baustelle notierte die Polizei bis Anfang Oktober 52 Unfälle mit 29 Leichtverletzten, darunter ein Busunfall. Doch, so betont Joachim Zwirner vom Verkehrseinsatzstab der Karlsruher Polizei: «Die schweren Unfälle ereigneten sich vor der Baustelle durch Auffahren auf das vordere Fahrzeug.» Bei 35 Unfällen außerhalb der Baustelle wurden 2 Menschen getötet, 7 wurden schwer und 34 leicht verletzt.

Baustellen sind mit ihren engen Fahrstreifen gefürchtet, doch nicht so schlecht wie ihr Ruf: Zwar bergen Fahrstreifenverschwenkungen, Überleitungen sowie Ein- und Ausfahrten Risiken. Doch die Fahrzeuge sind darin mit geringem Tempo unterwegs. Baustellen-Unfälle verlaufen in der Regel weniger schwer, als andere Autobahnunfälle, sagt Petra Peter-Antonin von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt).

Die Gefahr lauert vor allem vor der Baustelle: «Rückstaus erzeugen oftmals Auffahrunfälle», so der ADAC. In welcher Dimension, ist unklar. Im vergangenen Jahr starben bei 1689 Unfällen in Baustellen 17 Menschen, 332 wurden schwer verletzt. Wer im Stau davor verunglückt, wird in der allgemeinen Autobahnstatistik mitgezählt. Die notiert 20 928 Unfälle mit 409 Toten und 5974 Schwerverletzten.

Kann man da noch von sicheren Autobahnen sprechen? Man kann, sagt Unfallforscher Brockmann. «60 Prozent der Unfälle mit Toten und Schwerverletzten geschehen auf der Landstraße, 30 Prozent innerorts und nur zehn Prozent auf den Autobahnen.» Das liegt auch daran, dass es auf den bundesweit 13.000 Kilometern Autobahn weder Abbiege- noch Gegenverkehr oder Fußgänger und Radfahrer gibt. «Autobahnen sind immer noch die sichersten Straßen», heißt es auch beim ADAC.

Das baden-württembergische Innenministerium verweist zudem darauf, dass trotz mehr Verkehr die Unfallzahlen seit 2010 etwa gleich bleiben. Sorgen bereitet Experten der Schwerlastverkehr: «Stauende-Unfälle sind überwiegend Lkw-Unfälle», sagt Brockmann. Auf Baden-Württembergs Autobahnen gab es im vergangenen Jahr 3439 Unfälle mit Lastwagen, deutlich mehr als zuvor: 3096 (2016) und 2687 (2015).

Unfallforscher Brockmann plädiert deshalb für die verpflichtende europaweite Einführung eines Notbremsassistenten für Lastwagen, der vor dem Stauende bis zum Stillstand bremsen kann. Damit könnten auch aus Sicht der Autoclubs viele dramatische Unfälle vermieden werden. Wenn die Systeme denn eingeschaltet sind. «Die Lkw-Fahrer schalten diese derzeit häufig aus, da sie so leichter überholen können und beim Unterschreiten des Mindestabstands zum Vorausfahrenden nicht ausgebremst werden», heißt es im Stuttgarter Innenministerium. Die Landesregierung unterstützt deshalb eine Bundesratsinitiative. Ihr Ziel: Notbremsassistenten sollen nicht mehr abgeschaltet werden können.

Zu geringer Abstand, zu hohes Tempo, übermüdete Fahrer und Alkohol sind nach Feststellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen die häufigsten Ursachen von Unfällen auf Autobahnen. Täglich 170 000 Fahrzeuge passieren allein die Gefahrenstelle an der A5 bei Karlsruhe. Um sie zu entschärfen, soll ein stufenweises Tempolimit vor der Baustelle den Verkehr auf 80 Stundenkilometer verlangsamen. Es gibt ein Überholverbot für Lastwagen, mobile Stauwarnanlagen und orangefarbene Fahrbahnabtrennungen bei der Einmündung der A8 in die A5.

Doch was ist, wenn Verkehrsteilnehmer alle Warnungen in den Wind schlagen? Das Innenministerium will Verkehrssünder mit einem «flächendeckenden Kontrolldruck» das Leben schwer machen und zugleich gezielt aufklären. Letzteres ist aus Sicht von Wolfgang Fastenmeier, Professor für die Psychologie des Verkehrswesens in Berlin, ohnehin wichtiger. «Von Strafen halte ich wenig. Sie wirken eher kurz und verändern nicht die Einstellung.» Viel geholfen wäre aus seiner Sicht schon, wenn Verkehrsteilnehmer für die Gefahren in Baustellen mehr sensibilisiert würden – etwa durch eine erweiterte Aus- und fortbildung für Fahrer. Voraussetzung sei aber immer, dass auf Baustellen rechtzeitig hingewiesen werde und diese ausreichend beschildert seien.