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Sie sind bedroht wie seltene Pflanzen und Tiere - die Dialekte. In Stuttgart widmet sich eine Tagung dem Erhalt der sprachlichen Diversität. Können Schwäbisch und Co. noch gerettet werden?

Stuttgart (dpa/lsw) Als Anke Hagner zur Schule ging, hatten Kinder Züchtigung zu befürchten, wenn sie im Unterricht Schwäbisch sprachen. Da habe es einen Kniff am Ohr oder einen Klopfer auf den Hinterkopf gegeben, erzählt die Sängerin der schwäbischen Akustik-Folkband «Gradraus» bei einer Dialekt-Tagung am Freitag in Stuttgart. Die 42-Jährige mit der blonden Mähne ist froh, dass diese Zeiten vorbei sind und der Dialekt zumindest bei der Konferenz wieder in aller Munde ist. Die Mutter von vier Kindern hofft wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (CDU), den Dialekt wiederbeleben zu können.

Der Regierungschef hat unter dem Motto «Daheim schwätzen die Leut' - Gegenwart und Zukunft der baden-württembergischen Dialekte» alles in die Landeshauptstadt einbestellt, was in der Welt der Dialekte Rang und Namen hat. Ziel: Ideen zu entwickeln, wie die Mundart als schützenswertes Kulturgut zu retten ist.

Kretschmann selbst ist bekennender Mundartsprecher. «Ich bin dankbar für meinen Dialekt.» Er habe zu Hause Hochdeutsch gesprochen und auf der Straße und an der Schule Schwäbisch aufgeschnappt. «Für mich als Kind war der Dialekt also eine wunderbare Möglichkeit der sozialen Integration», betont der Grünen-Politiker. Nicht nur für ihn, sondern auch für die gesamte Gesellschaft sei der Dialekt - im Südwesten Alemannisch, Schwäbisch und Fränkisch - ein Mittel, den Zusammenhalt zu fördern.

Dialekt wird vor allem noch auf dem Land in Bereichen gesprochen, wo die Menschen miteinander vertraut sind. So etwa beim Bäcker, im Verein oder auf dem Sportplatz, hat Professor Hubert Klausmann von der Universität Tübingen festgestellt. Je weiter man sich in den offiziellen Raum - sei es Rathaus oder Finanzamt - bewege, desto weniger werde in Mundart parliert. Die Deutschen täten sich schwer mit sprachlichen Varianten und tendierten zum «Hannoverismus», also der Ansicht, dass in der Region in Niedersachsen das beste Deutsch gesprochen werde. Dabei sei sich selbst der Duden nicht immer sicher, welcher Ausdruck nun Standard sei. Die Menschen seien ihrer eigenen Sprachprägung nicht gewiss: «Immer ist das, was ich nicht spreche, das Richtige.»

Klausmann sieht vor allem die Medien in der Pflicht, das Renommee der Mundartsprecher zu verbessern. Im Rundfunk hätten Schwäbisch-Sprecher schlechte Karten, im «Tatort» spielten sie untergeordnete Rollen. Empört zeigt er sich über Untertitel im Fernsehen, wenn Regionalsprachen verwendet werden, obwohl sie absolut verständlich seien. Auch an den Schulen seien Dialektsprecher benachteiligt. All das führe schließlich zum Dialekttod.

Wie gegensteuern? Das Verständnis für Dialekte müsse in der Lehrerausbildung etabliert werden, meint der Wissenschaftler. Auch Vorbilder wie Fußball-Bundestrainer Joachim Löw und Regierungschef Kretschmann seien als Botschafter des Dialekts unverzichtbar.

Vom Sterben des Dialekts kann in der deutschsprachigen Schweiz keine Rede sein. Das Schweizer Deutsch sei weit verbreitet, schildert Helen Christen von der Universität Freiburg (Schweiz). Die Kinder wüchsen mit dem Dialekt auf und lernten erst in der Schule Hochdeutsch. Selbst Politiker scheuten sich nicht, im Fernsehen zu sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen sei.

Der Comedian Dodokay, bekannt für seine schwäbische Synchronisation von Kino-Klassikern, verrät den Tagungsteilnehmern, wofür der Dialekt auch gut sein kann: verschlüsselte Botschaften. So verstehe der US-Geheimdienst NSA Schwäbisch sicherlich nicht. Er könne sich vorstellen, wie die Agenten sich fragten: «What the fuck is Breschtlengsgsälz (Erdbeermarmelade)?»

Von Julia Giertz, dpa