Wenn aus dem "ist" ein "isch" wird, fühlt sich Manuel Hagel authentisch. Foto: dpa - dpa

Badisch, Schwäbisch, Kurpfälzisch: In Baden-Württemberg sprechen Politiker oft unverblümt ihren Dialekt. Was früher als provinziell galt, passt heute prima ins politische Konzept - mit Grenzen.

Stuttgart (dpa/lsw) Wenn Manuel Hagel redet, wundert sich so mancher Zuhörer. Da wird das «Ist» zum «Isch», das «Ich» zum «I», und der Zugereiste vernimmt Wörter, die er so noch nie zuvor gehört hat. Der Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg ist 30 Jahre alt und spricht breitesten, schwäbischen Dialekt. Damit ist er aufgewachsen. «Freilich war es keine bewusste Entscheidung, Schwäbisch zu lernen - heute Dialekt zu sprechen, ist es aber durchaus», sagt er.

Für Hagel ist der Dialekt Ausdruck von Zugehörigkeit, Heimat und Kultur. Er will damit auch einem Verdruss entgegenwirken, den manche Bürger angesichts von Politikern empfinden, die ihrer Meinung nach zu abgehoben oder zu gleichförmig sind. «Ich habe mir immer vorgenommen, dass der Politiker Manuel Hagel auch genauso ist wie der Mensch Manuel Hagel. Deshalb bin ich der, der ich bin und spreche, wie mir der Schnabel gewachsen ist - das ist echt, das ist authentisch.»

In den Stuttgarter Landtag haben Abgeordnete fraktionsübergreifend einen Antrag eingebracht, in dem sie sich für den Erhalt von Dialekten stark machen. Initiator ist Markus Rösler - ein Grünen-Politiker. «Heimat ist dort für mich, wo Schwäbisch geschwätzt wird», sagt er. Vor allem aber hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Bewahrung von Mundarten auf die Fahnen geschrieben. Dabei haben manche Grüne jenseits der baden-württembergischen Realpolitik eigentlich ein eher angespanntes Verhältnis zum Thema Heimat.

Was findet die Politik am Dialekt? Neben der vielleicht echten Sorge, dass mit dem Aussterben der Mundart auch die kulturelle Vielfalt schwindet, gibt es auch andere Gründe. Kretschmann, der selbst offen schwäbelt, schreibt in seinem Buch «Worauf wir uns verlassen wollen - Für eine neue Idee des Konservativen» über den Dialekt: «Er sorgt für Erdung, für Vertrautheit und Verwurzelung in Zeiten der Globalisierung. Er verhindert ein falsches Pathos.» Ob bewusste Entscheidung oder nicht: Bei ihm passt der Dialekt auch bestens in sein politisches Konzept, die bodenständigen und konservativen Schwaben an sich zu binden, obwohl sie jahrelang CDU gewählt haben.

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim beobachtet, dass Dialekte gerade eine Wiederauferstehung erleben. «Sie galten lange Zeit als verpönt, als Ausdruck von Provinzialität. Jetzt sollen sie hingegen ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen und Identität stiften», sagt er mit Verweis auf die Unübersichtlichkeit als Folge der Globalisierung. Eine regionale Orientierung sei vertraut und schaffe Sicherheit. Verstärkt würden Dialekte in der Werbung eingesetzt. «Was für die Sparkassen die Kundennähe ist, ist für die Politik die Bürgernähe.»

«Das ist einer von uns», solle den Bürgern vermittelt werden. «Die Sprache eines Politikers soll dann zu dessen positiven Image-Bildung beitragen.» Allerdings, so schränkt Brettschneider ein, sollten Politiker nur dann Dialekt sprechen, wenn er wirklich zu ihnen passe. «Bei Ministerpräsident Kretschmann passt Dialekt. Bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wäre es unpassend, wenn sie zur "Plattsnackerin" mutieren würde.» Und wie immer gelte: «Das Publikum muss den Dialekt auch verstehen.» Ist dies nicht der Fall, grenzten die Redner einen Teil ihres Publikums aus.

In Baden-Württemberg hat fast jeder dritte Mensch ausländische Wurzeln. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hat mit Dialekten trotzdem kein Problem. «Mit jeder Sprache, die verschwindet, geht auch ein Stück Identität verloren.» Die sprachliche Vielfalt in Deutschland gelte es zu bewahren. «Schriftlich muss das natürlich Hochdeutsch bleiben.»

Aber es gibt nach wie vor auch die andere Seite. Der Stimmtrainer Matthias Kirbs aus Hamburg hat viele Kunden, auch Politiker, aus Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern. «Wenn ich Bairisch oder Schwäbisch spreche im Norden, verstehen das die Leute ja gar nicht», sagt er. Manche Dialekt-Sprecher empfänden einen echten Leidensdruck. «Sie werden belächelt an bestimmten Stellen, wo sie ernst genommen werden wollen von Kollegen.» Im Sprechtraining gehe es nicht darum, die Mundart auszutreiben. Hochdeutsch sieht Kirbs aber als eine zusätzliche Kompetenz - neben dem Dialekt.

CDU-Politiker Hagel ist nach eigenen Angaben nie zu Hochdeutsch gezwungen worden. Aber auch er kennt Situationen, in denen weniger Dialekt angebracht ist. So käme er nach eigenem Bekunden nie auf die Idee, am Hamburger Bahnhof ein «Wurschtweckle» zu bestellen.