12.3.2018: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und der damalige, kommissarische, SPD-Vorsitzende Olaf Scholz unterzeichnen im Paul-Löbe-Haus den Koalitionsvertrag. Foto: dpa - dpa

Parlamentsmitglieder aus der Region Stuttgart ziehen nach einem Jahr Großer Koalition Bilanz: besser als ihr Ruf, autofixiert oder antibürgerlich.

Die Große Koalition (GroKo) feiert an diesem Donnerstag ihren ersten Geburtstag. Bundestagsabgeordnete aus Stuttgart und dem Kreis Esslingen ziehen auf Bitte unserer Zeitung nach zwölf Monaten Regierungszeit Bilanz. Die Antworten könnten unterschiedlicher kaum sein. Bis auf eine Kritik: Es gab zu viel unnötigen Streit, von der Asylfrage bis zur Causa Maaßen. Und nun wird auch noch über das Ende der Kanzlerin spekuliert.

Matthias Gastel, Grünen-Bundestagsabgeordneter aus Filderstadt, ist nicht zum Gratulieren aufgelegt: „Zum Einjährigen der erneuten Koalition aus CDU/CSU und SPD muss der Sekt im Keller bleiben.“ Die Koalitionäre quälten sich lustlos an notwendigen Entscheidungen vorbei und führten stattdessen unnötige Personaldebatten, sagt der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, der hart mit der Regierungsriege ins Gericht geht – etwa mit dem Verkehrsminister und „seiner einseitigen Autofixiertheit“. Es werde Zeit, dass die GroKo endlich zu regieren beginne, „um den Klimaschutz voranzubringen, die Automobilindustrie auf dem Weg zu neuen Antrieben und Mobilitätsdienstleistungen zu unterstützen und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.“

Markus Grübel, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Esslingen, hält den Ruf der GroKo für schlechter, als sie ist: Sie habe „im ersten Jahr bereits mehr als 40 Gesetze und Initiativen auf den Weg gebracht. Und wir haben mehr Geld für Familien, Sicherheit und Investitionen bereitgestellt.“ Als positive Errungenschaft sieht er etwa das Pflegestärkungsgesetz. Schlecht fand der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit den Umgang mit Äußerungen des Ex-Verfassungsschutzchefs Maaßen. „Das hat letzten Sommer zu einem schweren Koalitionsstreit geführt und war völlig unnötig.“ Für Grübel ist Merkel als Kanzlerin bis zum Ende der Amtszeit gesetzt. „Die Spekulationen, die manche SPD-Kollegen lostreten, sind unnötig.“

Bernd Riexinger, Linken-Bundestagsabgeordneter aus Stuttgart, kritisiert die GroKo für „ihre Unbeweglichkeit“. „SPD und CDU/CSU streiten und blockieren sich in vielem gegenseitig. Einig sind sie sich bislang aber im grundsätzlichen ‚Weiter so‘.“ Die Stabilität der GroKo sieht der Linken-Bundesvorsitzende wanken: Unzufriedene in den drei Parteien wünschten sich die Bewegung zurück – nach links beziehungsweise rechts. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer scheine sich leider in die Rechtsbewegung der CDU einzuordnen, sagt Riexinger – etwa bei ihrer Position zur Ehe für alle. Einzig positiv bewertet Riexinger Verbesserungen beim Thema Pflege, die auf Druck des großen gesellschaftlichen Interesses entstanden seien, auch wenn das Beschlossene „noch lange nicht reicht“.

Nils Schmid, SPD-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Nürtingen, antwortet auf die Frage nach seinem Vertrauen in den Koalitionspartner: „Wir können in dieser Fraktion immerhin für uns wichtige Anliegen verwirklichen.“ Als eine Errungenschaft der SPD im ersten GroKo-Jahr nennt er „ganz klar unsere Verbesserungen bei der frühkindlichen Bildung“. Fehlverhalten sieht der ehemalige Landesminister bei der Union in Bezug auf den „heftigen und unnötigen Streit“ um Seehofers Flüchtlingspolitik: „Dadurch entstand der Eindruck, die Koalition beschäftige sich eher mit internen Konflikten als mit der Lösung anstehender Aufgaben.“ Die SPD gehe davon aus, dass Merkel zu ihrem Wort stehe, bis 2021 als Kanzlerin zur Verfügung zu stehen.

Judith Skudelny, FDP-Bundestagsabgeordnete aus Stuttgart, sieht auch aus der Oppositionsbrille heraus etwas Positives am ersten GroKo-Jahr: die Aufweichung des Kooperationsverbotes im Schulbereich, durch die der Digitalpakt ermöglicht wurde. „Daran waren wir aktiv beteiligt. Ansonsten hat sich die GroKo im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt und sich gestritten. Ein wirkliches Regieren hat nicht stattgefunden.“ Das spiegele sich auch in den Umfragewerten der Regierungsparteien wieder – weshalb diese derzeit kein Interesse an Neuwahlen hätten, glaubt die Generalsekretärin der Landes-FDP. Einen Kanzlerinnen-Wechsel zu AKK werde die SPD nicht mittragen. „Die Karten werden frühestens nach den Landtagswahlen neu gemischt – wenn überhaupt.“

Dirk Spaniel, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Stuttgart, fällt in seiner Bilanz ein hartes Urteil: Die Große Koalition schade Deutschland. „Sie führt eine Politik weiter, die in allen Bereichen von linksgrüner Ideologie gesteuert ist, insbesondere in der Verkehrs- und Umweltpolitik, aber auch in Sozial- und Finanzpolitik.“ Es sei bedauerlich, dass die Anträge der AfD und damit der Wählerwille grundsätzlich abgelehnt würden. Das schade der Demokratie. Der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion glaubt an den Rücktritt Merkels im kommenden Jahr – ohne dass sich mit AKK Veränderungen ergeben. „Tatsächlich ist die CDU/CSU einzig auf Machterhalt getrimmt und bedenkenlos bereit, grüne und damit anti-bürgerliche Politik umzusetzen.“