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Stuttgart (dpa/lsw) - Fast 1,6 Millionen Menschen im wohlhabenden Südwesten sind von Armut bedroht. Deren Bedürfnisse und Interessen will die Landesarmutskonferenz mit einer Aktionswoche „Armut bedroht alle“ (16.-22. Oktober) ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken. Mit einer am mittleren Einkommen orientierten Armutsgefährdungsquote von 15,4 Prozent liegt Baden-Württemberg im Ländervergleich im Mittelfeld, präzise auf Platz sieben, wie die Landesarmutskonferenz (LAK) anlässlich der Aktionswoche in Stuttgart bekanntgab. 2011 betrug der Wert 14,5 Prozent, 2005 noch 13,8 Prozent.

Unter dem Dachverband LAK sind unter anderem Betroffeneninitiativen sowie Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften und Flüchtlingshilfe-Vereinen organisiert. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. Das Armutsrisiko ist für Kinder von Alleinerziehenden mit 48 Prozent und für Migranten besonders hoch. Knapp 30 Prozent der Kinder von Eltern mit ausländischen Wurzeln sind armutsgefährdet.

Armut sei für die Betroffenen besonders schwer zu ertragen, wenn die Unterschiede sehr groß seien, sagte Klaus Kittler von der Diakonie Württemberg am Montag in Stuttgart. Im Südwesten sei es für arme Menschen relativ schwer, sich aus ihrer schwierigen Lage zu befreien.

DGB-Landeschef Martin Kunzmann sagte am Montag in Stuttgart Abstiegsängste, die mit dem Einzug der Digitalisierung, hohen Mieten und drohender Altersarmut ausgelöst worden seien, müsse die Politik ernst nehmen. Mit vernünftigen Lösungsansätzen könnten auch verunsicherte Protestwähler von der AfD zurückgeholt werden. Sein Rezept gegen Armut: gute Arbeit, gute Löhne, mehr Tarifbindung und sichere Arbeitsplätze sowie eine paritätische Finanzierung von Rente und Gesundheitsversicherung.

Die LAK wünscht sich von Minister Manne Lucha (Grüne) mehr Schwung in der Sozialpolitik des Landes. LAK-Sprecher Reinhold Schimkowski sagte, den Start des Grünen-Politikers habe er als holprig empfunden. Die Ergebnisse aus dem erste Armuts- und Reichtumsbericht, denn die damalige SPD-Sozialministerin Katrin Altpeter 2015 vorgestellt hatte, seien bei weitem noch nicht abgearbeitet worden. Auch die SPD-Sozialexpertin im Landtag, Sabine Wölfle, forderte Grün-Schwarz auf, diese Handlungsempfehlungen aus der Schublade zu holen. Auch die Ergebnisse der Pflege-Enquetekommission haben sich laut LAK in der Sozialpolitik noch nicht niedergeschlagen. Armut werde in Landtagsdebatten kaum thematisiert.

Lucha sagte: „Ich bin froh, mit den Wohlfahrtsverbänden, der LAK und den Gewerkschaften starke Partner an unserer Seite zu wissen, die unser gemeinsames Ziel, die Armutsbekämpfung, nie aus den Augen verlieren.“ Das Land gebe mittlere dreistelligen Millionenbeträge aus, etwa für günstigen Wohraum, Arbeitsmarktangebote und das Eindämmen der Kinderarmut. Das Land setze die Armutsberichterstattung mit regelmäßigen Erhebungen insbesondere zu Kinderarmut und dem Zusammenhang von Armut und Gesundheit fort. Überdies werde ein Instrumentenkoffer erarbeitet, der es Kommunen ermöglicht, eigene Armutsberichte zu erstellen und passgenaue Maßnahmen zu ergreifen.

SPD-Generalsekretärin Luisa Boos kritisierte, das Armutsrisiko sei für Migranten oder für alleinerziehende Eltern in Baden-Württemberg besonders hoch. „Es darf doch nicht wahr sein, dass man aufgrund seiner Herkunft oder aufgrund von Kindern automatisch armutsgefährdeter ist als andere.“ Sie fügte hinzu: „Da läuft was grundlegend falsch in unserem Land.“ Die AfD-Abgeordnete Christina Baum bezeichnete es als Bankrotterklärung der etablierten Parteien, dass ein wohlhabendes Bundesland wie Baden-Württemberg überhaupt eine Landesarmutskonferenz benötige.