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Von Anika von Greve-Dierfeld

Pforzheim- Eines Tages klingelt das Telefon und eine freundliche Stimme fragt, ob er wisse, dass ein Endlager für Atommüll gesucht werde, und er dazu Info-Material wolle. Hendrik Lambrecht, Physiker und Professor an der Hochschule Pforzheim, will eigentlich nicht. „Werbung“, denkt er. Aber er lässt sich bequatschen. Das E-Mail-Material kommt, dümpelt versehentlich noch zwei Wochen in Lambrechts Spam-Ordner. Dann fischt er es heraus. Er liest es. „Und ich fand das wirklich spannend“, erzählt er. „Ich hatte das Gefühl, das ist was Besonderes, das ist eine große gesellschaftliche Frage und da wird man als Bürger eingeladen, sich zu beteiligen.“

So kommt es, dass Lambrecht seit knapp einem Jahr einer von drei sogenannten Zufallsbürgern ist, die sich im neunköpfigen Nationalen Begleitgremium (NBG) um die Suche nach einem Endlager für Atommüll kümmern. Nach einer ausgeklügelten Zufallsstichprobe hatte ein Institut im Auftrag des Bundesumweltministeriums zuvor deutschlandweit knapp 70 000 Telefonnummern angerufen, darunter die Lambrechts. Rund 120 Teilnehmer blieben übrig. Aus ihnen wurden letztlich drei Personen - Lambrecht, eine Hamburger Jura-Studentin und eine Unternehmerin - als „Zufallsbürger“ ausgewählt. Sie sollen, gleichsam stellvertretend für alle Deutschen, als Otto-Normalverbraucher den Prozess begleiten, mit dem bis zum Jahr 2031 der bestmögliche Standort für strahlenden Abfall gefunden werden soll. Ein Standort, der bestmögliche Sicherheit bietet für einen Zeitraum von einer Million Jahren, schreibt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Mit im NBG sind außerdem sechs Personen des öffentlichen Lebens, Wissenschaftler beispielsweise und auch der Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer.

Transparenter Suchprozess

Warum der Aufwand? Diesmal wollen alle alles richtig machen. Empörung, verhärtete Fronten und Bitterkeit wie im Dauerstreit um Gorleben soll es nie wieder geben. Alle Bürger sollen sich bei der sensiblen und emotionalen Thematik um Atommüll-Lagerung einbezogen fühlen. Die Öffentlichkeit soll dabei sein. Der Suchprozess soll transparent sein. Und am allerbesten wäre es, wenn nicht nur während der Suche alle zufrieden sind, sondern auch dann, wenn ein Standort gefunden ist. „Wir müssen die Endlagersuche so betreiben, dass Menschen, die dann konkret in diesem Bereich wohnen, sich mit dem Ergebnis auch arrangieren können“, formuliert es Lambrecht.

Gut gemeint, schlecht gemacht, das meinen aber Anti-Atominitiativen. Sie kämpfen seit vielen Jahren um eine Bürgerbeteiligung, die den Namen aus ihrer Sicht verdient. Jochen Stay vom Anti-Atomenergie-Forum „Ausgestrahlt“ war von Anfang an gegen das gesamte Standortwahl-Verfahren und auch das Begleitgremium. „Dass sich die Leute da alle engagieren, das bestreite ich gar nicht“, sagt er. Dennoch sei das NBG ein reines PR-Instrument. „Die Betroffenen sind nicht beteiligt, man nimmt die Leute nicht mit.“ Vielmehr bilde das NBG einen weiteren, unnötigen Puffer zwischen Bürgern und Politik und sei sowieso ein zahnloser Tiger.

Lambrecht (Foto) widerspricht. „Wir können sehr wohl gehörig Sand ins Getriebe streuen.“ So habe das Gremium beispielsweise dafür gesorgt, dass eine frühe Fassung des novellierten Standortauswahlgesetzes, die vom Kabinett verabschiedet worden war, umgehend ins Netz gestellt worden sei. „Das hat nicht jedem gefallen.“ Außerdem suche sich das NBG eigene Themen. So habe das Gremium sich neben dem Endlager auch das Problem der Zwischenlager auf die Agenda gesetzt. Die Genehmigungen dafür laufen in den 2030er-, 2040er-Jahren aus, bis dahin kann ein Endlager noch gar nicht in Betrieb sein. „Da brauchen wir Übergangslösungen“, sagt Lambrecht. „Wir haben ja das Selbstbefassungsrecht und dürfen dann auch selber Handlungsbedarfe identifizieren.“ Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sei von soviel Eigeninitiative nicht begeistert gewesen.

Einmal im Monat trifft sich das NBG. Das Interesse der Bürger an den grundsätzlich öffentlichen Sitzungen ist bislang sehr bescheiden. „Aber das wird rapide wachsen, sobald mehr auf dem Tisch liegt“, sagt Armin Grunwald, Endlager-Experte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und ebenfalls NBG-Mitglied. Bereits im Winter könnte es soweit sein, wenn die ersten Gebiete vorgestellt werden sollen, die nicht als Endlagerstandort in Frage kommen.

Experte Grunwald und „Zufallsbürger“ Lambrecht zweifeln trotz des enormen Zeitaufwandes nicht am Sinn der Arbeit im NBG. „Wir haben mit den Beteiligungsmöglichkeiten Neuland betreten“, sagt Grunwald. „Ich weiß momentan keinen besseren Weg. Und auch, wenn uns bisher nur wenige kennen: Unsere Zeit kommt noch.“