Der Verlag und die Druckerei der Eßlinger Zeitung ziehen 1886 in ein großes Gebäude am Esslinger Marktplatz um. Foto: Archiv Eßlinger Zeitung - Archiv Eßlinger Zeitung

Heftige innenpolitische Debatten prägen das Jahr 1886.

EsslingenDas Jahr 1886 ist im Deutschen Reich innenpolitisch von heftigen Debatten um eine Erhöhung des Militäretats und damit einer weiteren Aufrüstung geprägt. Zudem wird das Sozialistengesetz verschärft. Mit einem „Streikerlass“ des preußischen Innenministers Robert von Puttkamer wird im April der Polizei ein härteres Vorgehen gegen streikende Arbeiter vorgegeben. Besonderes Augenmerk soll dem sozialdemokratischen Einfluss gelten, da er dazu angetan sei, „den Haß gegen die Gesamtheit unserer politischen und gesellschaftlichen Zustände anzufachen und zu unterhalten“. Auch die Esslinger Arbeiter bekommen die Auswirkungen zu spüren. Die Eßlinger Zeitung gibt bekannt, dass eine Informationsveranstaltung zu dem Erlass verboten wird.

In der New Yorker Hafeneinfahrt wird in diesem Herbst die Freiheitsstatue eingeweiht. Die Kosten für das Monument „Freiheit, die Welt erleuchtend“ des Bildhauers Frédéric Auguste Bartholdi trägt eine für das Projekt in Paris gegründete Gesellschaft. Der Bau des Sockels wird durch eine Spendenaktion des Verlegers Joseph Pulitzer finanziert.

Der amerikanische Apotheker John Stith Pemberton entwickelt auf der Basis von Extrakten aus Blättern des Koka-Strauchs den Sirup Coca-Cola, der bei Müdigkeit, Depressionen und Kopfschmerzen helfen soll, der schweizerische Mühlenbesitzer Julius Maggi erfindet seine später berühmte Gewürzmischung. Der Verlag und die Druckerei der Eßlinger Zeitung ziehen in diesem Jahr in ein eigenes Haus am Marktplatz um.

In der Region werden die Grundsteine für künftig Weltbewegendes gesetzt. Im Januar lässt der Ingenieur Carl Friedrich Benz ein Konstrukt patentieren, bei dem ein Benzinmotor auf ein einfaches Fahrgestell montiert und mit einem Antrieb gekoppelt wird. Dieser dreirädrige Patent-Motor-Wagen Benz ist das erste Automobil der Welt. Im März ziehen Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach nach. Sie entwickeln eine Kutsche mit eingebautem Motor, den ersten vierrädrigen Kraftwagen, mit dem sie bei Testfahrten durch Bad Cannstatt Aufsehen erregen.

Die Eßlinger Zeitung berichtet im Herbst, dass Gottlieb Daimler noch etwas Erstaunliches ausgetüftelt hat. Der Berichterstatter sichtet auf dem Neckar „ein von 6-8 Personen besetztes Boot, das sich stromaufwärts mit großer Schnelligkeit bewegt, während die Insassen die Hände gemütlich in den Schoß legen“. Die Antriebsmaschine sei fast unsichtbar, sie arbeite nahezu geräuschlos und ohne Dampfwolken auszustoßen. Die Zeitung prophezeit der Entwicklung eine große Zukunft, „da wohl mancher nicht die Kraft und Geschicklichkeit besitzt, das Ruder zu führen und nun mit leichtem Druck der Hand das Schiffchen nach vor- oder rückwärts in Bewegung setzen und alle Wendungen nach Belieben machen kann“.

Für großes Aufsehen in der Bevölkerung sorgt im Juni der Tod des bayerischen Königs Ludwig II. im Starnberger See, „von des Irrsinns unheilvollen Wahnvorstellungen befallen“, wie die Eßlinger Zeitung schreibt. Der Leichnam wird öffentlich aufgebahrt und so erhält die Zeitung von einem „Spezialberichterstatter“ ihre Nachrichten direkt „vom Paradebette des Königs“.

Friedrich Herdtle, der Wirt des Gasthauses zum Lamm in Berkheim, läuft in diesem Jahr zu großer poetischer Form auf. Er annonciert in der Zeitung an Pfingsten „ein neues Gaudium“ und lädt in gereimter Form einer Metzelsuppe ein: „Sie Alle sind geladen, Zu diesem schönen Mahl, Ganz Eßlingen mit Heumaden, Das Fildergäu samt Thal.“