Im Jahr 1966 wird die letzte Lok der Maschinenfabrik Esslingen ausgeliefert. Eine 120-jährige Tradition geht zu Ende. Foto: EZ-Archiv - EZ-Archiv

Das Jahr 1966 in Deutschland ist von zahlreichen innenpolitischen Turbulenzen geprägt. In Esslingen geht ein Stück Industriegeschichte zu Ende.

EsslingenIm Jahr 1966 mehren sich in der Bundesrepublik die Dissonanzen zwischen den Regierungsparteien CDU, CSU und FDP, es entwickelt sich eine Regierungskrise, Bundeskanzler Ludwig Erhard tritt zurück. Die CDU/CSU und die SPD bilden eine Große Koalition, Bundeskanzler wird der vormalige baden-württembergische Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger (CDU). Vizekanzler und Außenminister wird Willy Brandt (SPD).

Das Scheitern der Regierung Erhard zeichnet sich früh ab. Die Eßlinger Zeitung sieht „eine Serie schwerer außen- und innenpolitischer Niederlagen“, ein glückloses Agieren in der Steuerpolitik und „Schwierigkeiten auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzen“. Hinzu kämen gescheiterte Verhandlungen über die Kosten der Stationierung der amerikanischen Soldaten. Demnach müsse Deutschland die Verpflichtungen „in Form von Rüstungskäufen voll erfüllen“.

Kampfflugzeuge mit eklatanten technischen Mängeln

Die amerikanischen Kampfflugzeuge vom Typ Starfighter bei der Bundeswehr bringen dazu weiteres Ungemach. Die Flugzeuge weisen eklatante technische Mängel auf und sind zum Großteil nicht flugsicher. Allein im Vorjahr waren 27 Maschinen abgestürzt, 17 Menschen starben. Ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ bringt einen Untersuchungsausschuss gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß – im Kabinett Kiesinger Finanzminister – wegen des Verdachts auf Bestechung beim Kauf des Flugzeugs ins Rollen. Ein Beweis wird nicht gefunden, allerdings werden einige ranghohe Militärs entlassen.

Auch das Verhältnis zu Frankreich entwickelt sich nicht wie erhofft. Erhard findet keine vertrauensvolle Basis mit dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle. Dies erweist sich in der Frage einer gemeinsamen Verteidigung als fatal. Frankreich tritt aus der NATO aus, seine in der Bundesrepublik stationierten Truppen stehen nicht mehr unter alliiertem Kommando. Im Juli führt Frankreich seinen ersten Atombombentest auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik durch.

Innenpolitisch beginnen unruhige Zeiten. Die rückhaltlose Unterstützung für die USA im Vietnamkrieg führt zu Großdemonstrationen. Auch die von der Bundesregierung geplanten Notstandsgesetze bringen Zehntausende auf die Straße. Die Notstandsverfassung, die schließlich zwei Jahre später beschlossen wird, erlaubt unter anderem den Einsatz der Bundeswehr und des Bundesgrenzschutzes bei Unruhen im Inneren. Die außerparlamentarische Opposition befürchtet, dass damit die Demokratie außer Kraft gesetzt wird.

Letzte Lokomotive verlässt Maschinenfabrik Esslingen

In der Stadt Esslingen wird Eberhard Klapproth mit 65,2 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt. Für den bisherigen Amtsinhaber Dieter Roser entscheiden sich 34,6 Prozent der Wähler. Der 45-jährige Stuttgarter Klapproth war erst 14 Tage vor der Wahl gegen den seit 18 Jahren amtierenden Roser angetreten. „Ein solches Ergebnis hat wohl niemand in der ganzen Stadt erwartet. Überall wertet man den Ausgang des Esslinger Oberbürgermeisterwahl als eine echte Sensation“, kommentiert die Eßlinger Zeitung.

Bei der Maschinenfabrik Esslingen geht eine Tradition zu Ende. Nach 120 Jahren verlässt die letzte der mehr als 5000 dort gebauten Lokomotiven die Werkhallen. Die letzte Lok der ME trägt die Bezeichnung E 10 60 und wird nach Indonesien verschifft. Wie die Eßlinger Zeitung schreibt, handelt es sich um eine fünfachsige Maschine mit Zahnradantrieb, „der Spezialtradition Esslingens entsprechend. So findet die 120-jährige Lokomotivbau-Geschichte einen würdigen Abschluß.“