In unserer Serie zum 150-jährigen Bestehen der Eßlinger Zeitung beleuchten wir diesmal das Jahr 1880, in dem die EZ eine Meinungsspalte eingeführt hat.

EsslingenDas Jahr 1880 bringt im Deutschen Reich ein gewisses innenpolitisches Tauwetter mit sich. Der Reichskanzler Otto von Bismarck leitet im Juli das Ende des „Kulturkampfs“ zwischen dem Staat und dem katholischen Klerus ein. Zunächst für Preußen wird die Sperrung der staatlichen Zuschüsse an die katholische Kirche aufgehoben. Die Entspannung zeigt sich auch daran, dass Kaiser Wilhelm I. im Oktober an der Feier der Vollendung des Kölner Doms, 632 Jahre nach dessen Baubeginn, teilnimmt. Die Sozialistengesetze bleiben weiterhin in Kraft. Die seit 1878 verbotene Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands hält ihren Parteikongress in der Schweiz ab.

Die Eßlinger Zeitung führt in diesem Jahr eine Meinungsspalte ein. Die „Eßlinger Briefe“ analysieren etwa die Wirtschaftskrise nach dem Börsenkrach von 1873. „Der allzurasche Sprung aus den Schranken der Innungen und Zünfte in die weiteste Erwerbs- und Verkehrsfreiheit“ habe viele Glücksritter und „die ansteckende Sucht, schnell und ohne Mühe reich werden zu wollen“ hervorgebracht. „Auf den Schwindel folgte der Krach und der Verlust unzähliger Privatvermögen und auf beides die geschäftliche Muth- und Vertrauenslosigkeit“.

Insbesondere die lokalen Befindlichkeiten werden kommentiert. So spottet die Eßlinger Zeitung, dass der Bau des neuen Bahnhofs auch sieben Jahre nach dem Beschluss immer noch nicht in Angriff genommen wurde, dafür aber auch die Zinsen für das notwendige Kapital von 400 000 Mark nicht zu zahlen waren, insofern also angespart worden sind. „Es will uns bedünken, als ob die Eisenbahnfinanzkünstler sich vorgenommen hätten, den Bahnhof mit seinen eigenen Zinsenersparnissen zu erbauen.“

Fehlende Bekenntnis zur Stadt

Ein „Krebsschaden, der selten in einer Stadt hervortritt, wie hier“ ärgert den Kommentator. Den Esslingern fehle es am Bekenntnis zu ihrer Stadt und ihren Errungenschaften. „Hier begegnen wir so häufig der schonungslosen Kritik heimischer bürgerlicher Institutionen. Es fehlt der Lokal-Patriotismus.“ Daher fehle auch den örtlichen Handwerkern der angemessene Zuspruch. So würden teure Möbel eher in Stuttgart als bei einem Schreiner in der Stadt gekauft. „Wie soll dieses hier vorzüglich vertretene Gewerbe der Möbelschreiner auskommen können, wenn rücksichtslos die eigenen Mitbürger sie mit Verachtung strafen?“ Dies führt zu einem sehr modern klingenden Vorschlag. Angesichts des nach wie vor leer stehenden Gerichtsgebäudes „kommt uns der Gedanke, ob nicht der Schwurgerichtssaal sich als permanentes Ausstellungslokal hiesiger Gewerbetreibenden eignen würde“.

Doch es gibt auch einiges zu loben. Namentlich „auf dem Gebiet des Volksgesangs“ seien bereits „herrliche Früchte gereift“, die „tüchtigen Sangeskräfte“ allerdings auf fünf Vereine verteilt. Die Zersplitterung gründe sich auf längst überwundene Standesschranken und sei der Bürgergesellschaft nicht mehr angemessen. Wenn sich nun die ältesten Vereine Bürgergesangverein und Liederkranz zusammentäten, könnte „die veredelnde Macht der Töne allein das Mittel zu einem Allen gemeinsamen Zwecke sein und in einem großen Bund zur verhältnißmäßig höchsten Leistung ausgebildet werden“.