Nach der Grenzöffnung 1989 kommen DDR-Bürger und Westberliner beim Brandenburger Tor zusammen. Foto: Archivfoto: dpa - Archivfoto: dpa

In der EZ-Jubiläumsserie geht es um das Jahr 1989, das geprägt ist von einer politischen Wende

EsslingenIm Jahr 1989 erlebt Europa eine politische Wende, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar schien. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow erklärt im Juli, jeder sozialistische Staat könne seine eigene politische Entwicklung nehmen. Die Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen erhalten ab 1990 weitgehende wirtschaftliche Autonomie.

Auch in anderen Staaten des Ostblocks wendet sich die Politik. Während die Staats- und Parteiführung in Bulgarien den Weg durch Rücktritt frei macht, der Reformer Alexander Dubcek zum Parlamentspräsidenten und der Schriftsteller Vaclav Havel zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei gewählt werden, lehnt der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu Reformen ab. Dies führt zu einem Aufstand, die Armee schließt sich an, Ceausescu wird gestürzt und zusammen mit seiner Frau hingerichtet.

Im August drängen sich hunderte von DDR-Bürgern in den Botschaften der Bundesrepublik in Budapest, Warschau und Prag, um ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Ungarn lässt alle DDR-Bürger in den Westen ausreisen.

Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher verkündet am 30. September Prag, dass alle DDR-Flüchtlinge, die sich in den deutschen Botschaften in Prag und Warschau befinden, ausreisen dürfen. Gorbatschow spricht bei einer Pressekonferenz in Ostberlin von der Notwendigkeit von Reformen und prägt den Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Im Oktober verliert Erich Honecker alle Ämter, sein Nachfolger wird Egon Krenz.

Am 9. November verliest das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz den Beschluss, dass Genehmigungen für Privatreisen ins Ausland „kurzfristig erteilt“ würden. Dies gelte „ab sofort, unverzüglich“. Um Mitternacht öffnet sich die Grenze zu Westberlin. Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt prägt den Satz „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“.

Nach der Grenzöffnung besuchen hunderttausende von DDR-Bürgern am Wochenende die Bundesrepublik. Da die Besucher 100 Mark Begrüßungsgeld erhalten, stellt dies die Verwaltungen, auch in Esslingen, auf eine harte Probe. Die Eßlinger Zeitung berichtet, dass sämtliche Bargeldbestände im Rathaus zusammengekratzt werden müssen, um die Ansprüche zu befriedigen.

Der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph tritt zurück, sein Nachfolger wird Hans Modrow. Er kündigt grundlegende politische Reformen an. Bundeskanzler Helmut Kohl sichert der DDR wirtschaftliche Hilfe zu, sobald ein Wandel des Systems vollzogen wird und legt ein „Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ vor. Krenz und Modrow beharren allerdings auf einer Eigenständigkeit der DDR. Im Dezember vereinbaren Kohl und Modrow Verhandlungen über eine deutsch-deutsche Vertragsgemeinschaft.

Die Eßlinger Zeitung warnt bei aller Befriedigung über den politischen Wandel vor dessen Risiken. So seien für die vielen erwarteten Übersiedler aus der DDR weder Wohnungen noch Arbeitsplätze in Sicht, es müsse „das existenzielle Risiko für die Zuwanderer deutlich gemacht werden“, schreibt der Kommentator. Um die „gesamtdeutsche Herausforderung“ bewältigen zu können, seien nicht zuletzt die Gewerkschaften gefragt, alles zu unterlassen, was eine „unversehrte Wirtschaftskraft“ beeinträchtigen könnte. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhungen „erscheinen als unangemessen und gefährlich“.