Im Sommer 1968 fahren Schiffe mit Festgästen auf dem Neckarkanal von Esslingen aus zur Eröffnung des Hafens in Plochingen. Foto: Stadtarchiv Esslingen - Stadtarchiv Esslingen

Das Jahr 1968 ist von umwälzenden Entwicklungen gekennzeichnet. Auch an Esslingen geht der Protest nicht vorbei. In der Druckerei des Bechtle-Verlags wird eine Teilauflage der Bild-Zeitung produziert, die Polizei schützt die Auslieferung.

EsslingenDas Jahr 1968 ist von umwälzenden Entwicklungen gekennzeichnet. In der Tschechoslowakei wird im Januar Alexander Dubcek zum Vorsitzenden der kommunistischen Partei gewählt. Er leitet Reformen ein, im Land macht sich Aufbruchstimmung breit, der Prager Frühling beginnt. Der Warschauer Pakt berät über die Entwicklungen, besetzt schließlich im August das Land und beendet den Demokratisierungsprozess.

In Südvietnam startet der Vietcong im Januar zum buddhistischen Neujahrsfest Tet eine Großoffensive. Sie bringt großen politischen Erfolg. Die amerikanische Öffentlichkeit wird zudem durch die Ermordung eines Vietcong-Kämpfers auf offener Straße vor laufenden Kameras westlicher Berichterstatter erschüttert. Dazu werden Massaker an der Zivilbevölkerung durch amerikanische Soldaten wie jenes von My Lai bekannt. Allein in diesem Dorf werden mehr als 500 Menschen, hauptsächlich Kinder, Frauen und Alte ermordet.

Polizeieinsatz am Verlagsgebäude

Der Widerstand in den USA gegen den Krieg wächst, ebenso aber auch die Radikalisierung der Gegner einer Liberalisierung. Im April wird der Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King ermordet.

Im Mai wird in Paris eine Studentendemonstration von der Polizei gewaltsam aufgelöst, hunderte junger Menschen werden teils schwer verletzt. Die Gewerkschaften rufen aus Solidarität zu einem Generalstreik auf, der das Land lahmlegt. Der Pariser Mai führt landesweit zu Straßenschlachten, Massendemonstrationen gegen die Regierung und Fabrikbesetzungen. Auch die Bundesrepublik ist in Aufruhr. Teile der außerparlamentarischen Opposition radikalisieren sich, in Frankfurt werden zwei Kaufhäuser in Brand gesteckt. Die Brandstifter, unter ihnen Andreas Baader und Gudrun Ensslin, werden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Im April wird Rudi Dutschke, einer der Sprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), von einem Rechtsradikalen niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Dies führt bundesweit zu Unruhen. Mit der Parole „Bild hat mitgeschossen“ wird auch das Boulevardblatt Bild aus dem Springer-Verlag mit verantwortlich gemacht. Es kommt zu massiven Protesten gegen das Verlagshaus, die Auslieferung des Blatts wird teilweise verhindert.

Laut der Eßlinger Zeitung sagt Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, eine „kleine aber militante linksextremistische Gruppe“ habe sich „die Zerstörung der parlamentarisch-demokratischen Ordnung zum Ziel gesetzt“ und droht „verschärfte staatliche Abwehrreaktionen“ an.

Auch an Esslingen geht der Protest nicht vorbei. In der Druckerei des Bechtle-Verlags wird eine Teilauflage der Bild-Zeitung produziert, die Polizei schützt die Auslieferung. „In der Nähe der Bechtle-Druckerei waren Einheiten der Bereitschaftspolizei mit zwei Panzerspähwagen postiert. Alle verdächtigen Personen hatten sich verschärften Kontrollen zu unterziehen“, berichtet die Eßlinger Zeitung. Der EZ-Verleger Otto Wolfgang Bechtle spricht in einem Kommentar von einem „permanenten Anschlag der radikalen Linken gegen die Pressefreiheit“. Die Feier zum 100-jährigen Bestehen der Eßlinger Zeitung in der neu eröffneten Stadthalle findet ohne Störung, jedoch unter Polizeischutz statt. Im Sommer werden der Neckarkanal Stuttgart-Plochingen und der Hafen Plochingen eröffnet. Damit seien nicht nur der Wirtschaftsraum und die Region gestärkt worden, schreibt die Eßlinger Zeitung. „Tief im Empfinden verwurzelte Heimatwerte, vertraute Bilder und Erlebnisse, die ‚gute alte Zeit’ mit ihren Begriffen und Traditionen finden damit ebenso eine Korrektur.“