„Kannst du mal kurz...?“ – Manche Berufstätige müssen auch im Privatleben ständig mit solchen Fragen rechnen. Foto: Westend61 - Westend61

Ärzte, Anwälte und Handwerker kennen das Problem nur zu gut: Freunde und Bekannte brauchen schnell einen Rat – ohne Rechnung natürlich.

BerlinWenn Nora Meyer bei einem Familienfest ist, dauert es nicht lange, bis eine Tante ihr ein Körperteil entgegenstreckt. Könnte sie die Muttermale vielleicht mal kurz genauer unter die Lupe nehmen? Schließlich sei sie ja Ärztin. „Ja“, sagt die 43-Jährige dann, „ich bin aber Kinderärztin.“ Dermatologie ist ihr als Fachgebiet so fremd wie einem Automechaniker ein Uhrwerk. Das Problem hat Meyer nicht nur mit ihrer Tante. Auch Freunde fragen gerne mal, wenn sie ein Leiden haben. Und wenn mit den Kindern etwas ist. Als Ärztin ist sie dabei in einem Zwiespalt: Nach dem Hippokratischen Eid muss sie in akuten Situationen helfen. „Wenn Husten und Schnupfen in der Erkältungszeit allerdings schon seit Tagen anhalten, bitte ich die Eltern, in die Praxis zu kommen.“ Der Trick: „Ich sage, wir versuchen sie einzuschieben – das besänftigt sie meist.“

Oft müssen sich Experten im Privatleben solcher Kniffe bedienen. Denn die Reaktionen darauf, wenn sie keine Ratschläge für lau geben, sind vielfältig. „Das reicht von beleidigtem Schweigen bis zu empörten Schreiattacken“, sagt Arbeitsrechtler Michael Felser. Er zieht eine klare Linie bei Beratungen für Freunde und Verwandte: „Jeder kann sich in der Kanzlei einen Termin geben lassen.“ Aber Beratung im Privaten gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen. „Alle bekommen die gleiche Leistung von mir, nämlich hundert Prozent“, sagt er. „Und dann bekommen auch alle eine Rechnung.“

Denn Anwälte, Steuerberater oder auch Finanzbeamte haben ein Problem, wenn sie nebenher beraten: die Haftung. „Wenn der Rat falsch, unvollständig oder nicht erschöpfend war, dann kann ein großer Schaden entstehen – und das kann unangenehme Folgen haben“, warnt Felser. Und zwar für beide Seiten.

Die Haftung können Anwälte und Co. einem Klienten gegenüber nicht ausschließen. „Nur wenn es ein reines Gefälligkeitsverhältnis ist, dann haftet man nicht.“ Das sei etwa bei sehr nahen Verwandten wie Eltern oder Geschwistern der Fall. „Doch das akzeptieren die Gerichte umso weniger, wenn es um mehr geht. Zum Schutz des Beratenden.“ Auch Cordula Nussbaum kennt das Problem. Sie ist Coach und hilft unter anderem Selbstständigen beim Aufbau ihrer Existenz. Immer wieder ist die Expertin mit der Frage konfrontiert, wie viel Umsonst-Beratung im Rahmen ist – in ihrer Freizeit und auch bei Klienten.

„Offenbar klingt es für Menschen wie eine Einladung, mir ihr Herz auszuschütten, wenn ich sage, dass ich Coach bin“, erzählt sie. Natürlich unterstützt und fördert sie gern andere Menschen. Das sei schließlich der Schwerpunkt ihrer Arbeit. „Doch man muss auch klare Grenzen setzen, sonst wird man schnell ausgenutzt.“

„Coache nie im Freundeskreis“

Schon bei der Coaching-Ausbildung gibt es einen eisernen Grundsatz, den man mit zunehmender Erfahrung immer mehr versteht, sagt Nussbaum: „Coache nie im Freundeskreis!“ Der Grund: Ist der Coach kein neutraler Dritter, sondern ein Freund, kann er unbewusst Teil des Problems sein. „Das ist kein professionelles Verhalten und führt den Coaching-Prozess ad absurdum.“ Erschwerend kommt hinzu, dass es bei Problemen der Freunde oft um andere gemeinsame Freunde geht. „Und das bringt mich als Freundin allen gegenüber in unmögliche Situationen.“

Doch auch wer sich frisch selbstständig macht, muss eine gesunde Balance zwischen Freundschaftsleistungen und klaren Ansagen finden. Wer etwa als Physiotherapeut eine Praxis eröffnet, kann am Anfang eventuell noch praktisches Wissen gebrauchen. Dann ist man froh um Bekannte und Verwandte, die sich zur Verfügung stellen. „Doch irgendwann ist genügend Praxis da“, sagt Nussbaum. Und dann müsse man klar kommunizieren, dass man fortan Rechnungen verschickt.

Allerdings haben viele Studien ergeben, dass gerade Selbstständige und Angestellte in Helferberufen sich leichter ausnutzen lassen als andere. „Sie haben als erste einen Burnout, weil sie sich oft für alle aufopfern.“ Daher sei es gerade für diese Berufsgruppen wichtig, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. „Das ist ein Lernprozess“, so Nussbaum. Und es falle leichter, „Nein“ zu sagen, je länger man im Beruf ist.

Auch Anwalt Felser rät, lieber mal unfreundlich zu sein und die Freundschaftsdienste einzuschränken. „Nach ein paar Wochen ist auch das Beleidigtsein des Gegenübers normalerweise vorbei.“

Besonders schwierig wird es, wenn man mit Geschenken „geködert“ wird. „Wenn mir jemand eine Kiste teuren Wein schickt, muss ich noch vorsichtig sein, dass das nicht das Beratungshonorar übersteigen würde.“ Daher sei konsequentes Ablehnen privater Anfragen der beste Weg. Und auf den Bauch sollte man noch zusätzlich hören, rät Nussbaum. „Man merkt ziemlich schnell, wenn es über einen Freundschaftsdienst hinausgeht.“