Der Mittelpunkt der Party: Extravertierte fühlen sich da wohl, wo viele andere Menschen sind. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst - dpa/Frank Rumpenhorst

Introvertierte bleiben gerne zu Hause, Extravertierte suchen die nächste Party. Klischees mit einem wahren Kern. Deshalb gilt: Ändern und verstellen muss sich niemand - kennen schon.

Lehrte Small Talk und Menschengruppen sind ihnen ein Graus, von Vorträgen oder Präsentationen ganz zu Schweigen. Ein gutes Buch und ein Glas Wein, etwas Ruhe und ein kleiner, verlässlicher Freundeskreis: mehr braucht der Introvertierte nicht zum Glück. Extravertierte – so der wissenschaftliche korrekte Ausdruck - können dagegen gar nicht genug Action haben.

Gut oder schlecht ist dabei weder das eine noch das andere, sagen Experten. Wichtig ist nur, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen.

Die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale gehen auf den Psychiater Carl Gustav Jung zurück. Demnach heißt Extraversion, dass sich die psychische Energie eher nach außen richtet. Bei der Introversion dagegen orientiert sich das gesamte Wesen nach innen. „Diese Merkmale beziehen sich auf Wahrnehmung, Intuition, Denken und Fühlen“, erklärt Petra Lienhop, die sich als Coach auf Selbstmarketing spezialisiert hat. Und diese Wesenszüge haben Auswirkungen – auf Familie und Umfeld, Freizeitgestaltung und Urlaubsplanung, und nicht zuletzt auch auf das Auftreten im Job.

Das hat auch die Berufswelt erkannt: In Persönlichkeitstests, wie sie etwa bei Bewerbungsverfahren verwendet werden, ist „Gehen Sie gerne auf Partys?“ mittlerweile eine typische Frage, sagt der Psychologe Ralph Schliewenz.

Die Kehrseite der Medaille

Und was steckt eigentlich dahinter? Extravertierte sind zum Beispiel eher kontaktfreudig, gesprächig und gesellig, sagt der systemische Coach Oliver Müller – und damit für manche Jobs schlicht besser geeignet. Doch die Medaille hat auch eine Kehrseite: So haben Extravertierte zwar oft viele soziale Bekannte – aber eher wenige tief gehende Freundschaften. Business-Coach Anja Mumm zufolge sind sie zudem häufig impulsiv, weniger empathisch und geduldig. „Sie brauchen eine höhere Reizschwelle, um sich zu spüren“, sagt Schliewenz.

Introvertierte dagegen sind eher zurückhaltend, können sich aber leicht in die Lage anderer versetzen. Sie hören gut zu, arbeiten strukturiert und denken ausführlich nach. „Als Chef bekommen Sie von einem introvertierten Mitarbeiter eine absolut fundierte Meinung, wohingegen der Extravertierte auch mal aus dem Bauch heraus entscheidet“, sagt Lienhop.

Mumm, die unter anderem Führungskräfte zu diesem Thema coacht, spricht lieber von „lauten und leisen Menschen“. Häufig verkaufen sich die Leisen schlechter, die Lauten würden besser wahrgenommen. Ein gutes Verkaufen ist aber nicht zwingend ein Zeichen für hohes Selbstbewusstsein. „Es kann eine Bewältigungsstrategie sein, um Unsicherheit zu überdecken.“ Zudem ist Intro- und Extraversion kein Schalter: Schliewenz und Müller sehen diese Charaktermerkmale eher als Skala. Dass wirklich jemand deren Enden erreicht, sei eher selten. Viele Menschen könnten situationsabhängig anders auftreten, gehen im Beruf aus sich heraus und sitzen dafür zu Hause eher still auf dem Sofa. „Für bestimmte Gelegenheiten kann man sich durchaus andere Verhaltensweisen antrainieren“, sagt Mumm.

Doch aus einem zurückgezogen lebenden Menschen wird wohl nie eine richtige „Rampensau“ werden. „Warum sollte man das auch tun?“, fragt Schliewenz. Es gibt aber Möglichkeiten, die eigene Position auf der Skala zumindest etwas zu verschieben: Schränkt einen das eigene Wesen zu sehr ein, sollte man sich damit beschäftigen, findet Müller. Er regt an, mit neuen Verhaltensweisen zu experimentieren und immer wieder den inneren Abgleich zu machen, was sich gut anfühlt. Extravertierte können gezielt ein paar ruhige Abende daheim einplanen. Und Introvertierte lassen sich vielleicht mal auf Partys mitschleppen.

Ruhepausen einplanen

Gleichzeitig sollten sie aber gut für sich sorgen, Pausen und Ruhephasen nutzen. „Man sollte wissen, wo und wie man auftanken kann“, empfiehlt Müller. Ein Introvertierter, der stärker Reize wahrnehme und verarbeite, leide schneller unter einer Reizüberflutung. Extravertierten rät Lienhop generell zu mehr Achtsamkeit. „Das ist für diese Personen erst einmal schlimm, aber mit der Zeit lernen sie, wie gut es tut, sich selbst zu reflektieren“, sagt die Trainerin. Sie ermutigt etwa zu geführten Meditationen. Auch Sport kann dabei helfen, überschüssige Energie abzubauen und ruhiger zu werden.

Für die Leisen ist es außerdem wichtig, eigene Stärken und Schwächen zu kennen. Lienhops Tipp: „Notieren Sie sich mehrere Punkte und hängen Sie diese gut sichtbar in der Wohnung oder im Büro auf.“ Außerdem lässt sich ein Plan erstellen, zu welchen Gelegenheiten man sich mal in den Vordergrund stellen könnte. Also nicht immer den Kollegen die Präsentation überlassen, sondern auch einmal selbst dazu durchringen. „Wer nichts sagt, wird nicht wahrgenommen“, sagt Mumm. Und das sei gerade im Job heutzutage selten ein Vorteil.