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Von Annette Reuther
In einer Welt ohne Männer gibt es keine Intrigen, keine Trauer, keinen Neid - ja, gar keine Gefühle. Und natürlich keinen Sex. Die Frauen lagen damals, in fröhlichen Urzeiten, faul auf Felsen in der Sonne, schwammen hin und wieder im Meer und wurden vom Mond schwanger. Als jedoch der erste Mann das Licht dieser Welt erblickt, bringt er allerlei Probleme mit sich. Das friedliche Leben der Frauen hat ein für alle Mal ein Ende.In Doris Lessings neuem Buch „Die Kluft“ sind die Männer in gewisser Weise die Unruhestifter, das Unheil der weiblichen Seele. Für viele Frauen ist dieser interessante Ansatz sicher allein schon ein Grund, das Buch in die Hand zu nehmen. Dabei besticht die britische Autorin, die am Donnerstag den diesjährigen Literaturnobelpreis zuerkannt bekam, nicht nur durch ihre provokante These, sondern auch durch ihre trockene und humorvolle Art, diese dem Leser darzulegen. Aus der Perspektive eines konservativen römischen Senators erzählt sie die Geschichte der Menschheit neu - und schreckt mit ihren 87 Jahren auch nicht vor deftigem Lesestoff zurück. So nennt sie die Frauen vieldeutig „Spalten“ und die Männer „Zapfen“. Als der erste „Zapfen“ geboren wird, halten ihn die Frauen schlicht für ein Ungeheuer und setzen ihn auf einem Felsen aus. Doch erschreckenderweise kommen immer mehr männliche Babys zur Welt. Die entsetzten Frauen, für die Muttergefühle ein Fremdwort sind, setzten auch diese Säuglinge aus. Doch viele werden von Adlern gerettet und in ein Tal gebracht. Dort wächst langsam eine Kolonie von Ungeheuern heran. Den Vorwurf, ihr Buch sei männerfeindlich, weist Lessing ab. Schließlich kümmerten sich die Männer doch um die Babys, die ihnen die Adler bringen, und sie seien tapfer und abenteuerlustig, erklärte Lessing jüngst bei einer Lesung in Hamburg. Die weiblichen Wesen der Urzeit entwickeln dagegen erst nach und nach so etwas wie mütterliche Gefühle.Das Buch ist gespickt mit Weisheiten über das beschwerliche Leben zwischen Mann und Frau. Brillant erzählt Lessing beispielsweise, wie die Frauen ständig an den Männern herummeckern, worauf diese wiederum die Flucht ergreifen und die sich sehnenden Frauen vor ihren Höhlen sitzen lassen. Doris Lessing: Die Kluft. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg, 240 Seiten, 19,95 Euro.
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