Von Thomas Borchert

Anpassung, den Verrat von Idealen und mitunter von Menschen aus Feigheit oder für einen persönlichen Vorteil kennt jeder, und auch Selbstverachtung im Gefolge ist vielen nur zu gut geläufig. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein glattes Image, die Festanstellung oder vielleicht viel mehr auf dem Spiel steht. Wenn der Komponist Dmitri Schostakowitsch in Julian Barnes’ neuem Roman „Der Lärm der Zeit“ Nacht für Nacht fix und fertig angezogen, mit gepacktem Koffer schon vor der Wohnungstür darauf wartet, von Stalins Häschern abgeholt zu werden, geht es um den ultimativen Einsatz.

Die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ hat dem Tyrannen bei einer Aufführung 1936 missfallen, damals fast ein Todesurteil. Der noch junge, schon berühmte Schostakowitsch zieht sein nächstes Werk als Demutsgeste zurück. Er duckt sich in permanenter Todesangst auch um seine Familie weg und legt ein Jahr später die neu geschriebene Fünfte Symphonie vor. Von Publikum und Parteiführung bejubelt und heute als ein musikalisches Hauptwerk des 20. Jahrhunderts anerkannt. Das Wechselspiel zwischen Drangsalierung, Anpassung und dem Komponieren wird ein paar Jahrzehnte bis in die Breschnew-Ära und zum Tod des Komponisten 1975 weitergehen.

Solidarität mit dem Notenkünstler

9.6 Rotation

Fünf Jahre nach „Vom Ende einer Geschichte“ über Selbstbetrug durch geschönte Erinnerung hat Barnes, Jahrgang 1946, wieder einen wunderbar durchkomponierten Roman mit sicherem Gespür für die gute Geschichte geschrieben. Dem Leser offenbart sich die Hauptperson fortlaufend durch Wiedergabe der eigenen Gedanken, zunehmend geprägt von Selbstverachtung, wenn Schostakowitsch Schritt für Schritt den Forderungen der politischen Machthaber nachgibt. Je erbarmungsloser Schostakowitschs inneres Urteil über sich selbst ausfällt, umso deutlicher werden im Roman die Sympathien des Autors für seine Hauptperson.

Wie schon so oft in seinen bisher zwölf Romanen bricht Barnes Melancholie und Trauer mit Witz und hält den Leser gern mit Ironie und Gags von unterschiedlicher Qualität bei Laune. Schostakowitsch kommt zum Beispiel beim Rückblick auf den eigenen Weg durch das Sowjetleben die Postkarte eines Freundes in den Sinn: „Na, dann wollen wir mal, wie der Papagei zu der Katze sagt, die ihn am Schwanz die Treppe runterzieht.“ Bedingungslos fällt die Solidarität des zeitgenössischen britischen Wortkünstlers für den Kampf des früheren sowjetischen Notenkünstlers um die eigene Kunst aus: „Seine Hoffnung war, der Tod werde seine Musik befreien; befreien von seinem Leben.“

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit. Übersetzt von Gertraude Krueger. Kiepenheuer&Witsch, Köln. 256 Seiten, 20 Euro.