Von Kathrin Drinkuth

Den Anfang macht der Satz: „Mir geht es ein bisschen zu gut.“ Dann kommt: „Zu träumen genügt.“ Und weiter: „Unfassbar sein, wie die Wolke, die schwebt.“ Wer diese Sätze spricht? Schwer zu sagen. Der Protagonist - ein Mann, soviel errät man, schreibt in Ich-Form. Manchmal spricht er aber auch vom Er, redet ein Du an oder bleibt beim Wir. Martin Walsers neuer Roman „Statt etwas oder Der letzte Rank“ wirft Fragen auf, die beim Lesen nur langsam leiser werden. Besonders dick ist das Buch nicht, knapp 170 Seiten füllt es aus. Doch in sie hineinzukommen, ist nicht leicht: Die Frage nach dem Wer ist zu drängend, man will im Kopf ein Bild haben, von dem, der da spricht. Auch die anderen Figuren helfen nicht weiter: Seine Frau nennt er Elvira, wenn sie ein bestimmtes grünes und silbernes Kleid trägt. „Und immer, wenn sie Elvira heißt, heiße ich Otto.“ Andere Namen, die sich das Paar gibt: Memle und Müsch, Caro und Elfe, Bert und Chriss. Wer sind sie wirklich?

Selbstvorwurf der Geschwätzigkeit

Was man herausfindet: Walsers Protagonist will Einiges hinter sich lassen. Theorien zum Beispiel. Gegner auch. Und Feinde. Sein Wesenswunsch sei es, zu verstummen. Stattdessen wirft er sich selbst Geschwätzigkeit vor. „Immer erst nachher merkte er, dass er ununterbrochen geredet hatte. Und alles, was er ausgeplaudert hat, war peinlich. Er konnte nichts für sich behalten. Ihm fehlte eine Schranke.“ Als Leser lässt man sich mittragen von dem Gedankenfluss, in dem Erlebnisse und Erlebtes vorbeiziehen. Ein Traum über einen Zug, vollbesetzt mit Verstorbenen, die Affäre, die an ihrem Erbrochenen erstickt. Zugleich sagt der Erzählende: „Dass alles, was ich tat und dachte, einer Beobachtung, sprich Beurteilung ausgesetzt ist, spürte ich bei allem, was ich tat und dachte.“ Die Frage, wieviel Walser im Protagonisten steckt, lässt sich schwer unterdrücken. Der Autor, der im März 90 wird, würde sich über eine solche Frage ärgern: „Es ist ewig dasselbe. Ganz egal, was ich publiziere, es kommt immer die Frage nach der Wirklichkeit“, sagte er vor noch nicht allzu langer Zeit. „Obwohl ich doch deswegen publiziere.“ Und doch: Walser hadert wohl mit seinem Sich-Äußern-Müssen. „Das mag falsch sein oder lächerlich, aber es gibt immer wieder Themen - um es ein bisschen metaphorisch zu sagen - da kann ich nicht schlafen, wenn ich mich nicht dazu verhalten habe“, sagte er einmal. „Wenn ich mich ganz weit von mir entferne, denke ich manchmal: Ich hätte mich beherrschen müssen. Ich hätte mich nie um etwas Politisches kümmern sollen, sondern einfach Romane schreiben.“

Martin Walser: Statt etwas oder Der letzte Rank. Rowohlt-Verlag, Reinbek. 176 Seiten, 16,95 Euro.