Von Steffen Trumpf

Am Morgen des 9. November 2016 hörten Millionen Deutsche kurz nach dem Aufwachen ungläubig die Nachricht: Donald Trump hat die US-Präsidentenwahl gewonnen. Kaum einer hatte hierzulande damit gerechnet. Die Fassungslosigkeit zeigt, für wie unwahrscheinlich ein solches Szenario gehalten wurde - und wie wenig wir Deutschen im Grunde über Amerika wissen. New York, San Francisco, Hollywood: Das kennen wir von Reisen und aus dem Kino. Das sind aber nur die „Halbvereinigten“ Staaten von Amerika. Es gibt noch einen ganz anderen Teil der USA, der vor der Wahl belächelt und danach verblüfft beäugt, analysiert und nicht selten verwünscht wurde: die weiße Arbeiterschicht. Manche nennen sie „White Trash“, andere „Hillbillys“. Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bezeichnete sie im Wahlkampf als die „Bedauerlichen“. Ebendiese Menschen kosteten sie letztlich den Wahlsieg.

Seltene Einblicke in Bevölkerung

Überaus seltene Einblicke in diese Bevölkerungsschicht liefert der US-Autor J.D. Vance nun auch dem deutschen Leser. Die deutschsprachige Fassung seines „New York Times“-Bestsellers „Hillbilly-Elegie“ ist erschienen. Passender Untertitel: „Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“. Dabei macht Vance nicht viel mehr, als seinen eigenen Werdegang zu beschreiben. Seine Heimat sind Jackson im US-Staat Kentucky und Middletown in Ohio, das gleich um die Ecke von Wilmington liegt, wo Regisseur Michael Moore Teile seines Films „TrumpLand“ drehte. Die Gegend zählt zum Rust Belt, dem Rostgürtel, in dem die weißen Arbeiter einst ohne Ende malochten, ehe die Industrie der Region ihren Niedergang erlebte und Arbeitsplätze ins günstigere Ausland abwanderten. Die Probleme, die Vance schildert, sind keine rein amerikanischen. Vieles erinnert an die Situation in manchen wirtschaftsschwachen Regionen in Deutschland.

Auf den Schulhöfen lernt J.D., wie man Schläge austeilt. Zu Hause versucht seine Oma im Zorn, seinen Großvater anzuzünden. Seine Mutter hangelt sich von einem Ehemann zum nächsten, während ihre einzige feste Beziehung zu diversen Drogen besteht. Für die Leute in seiner Nachbarschaft ist Armut „Familientradition“, für Vance Normalität. Dass der Leser heute ein Buch des Autoren in der Hand halten kann, ist vor allem Vances burschikoser Großmutter Mamaw zu verdanken. Mamaw ist ein Hillbilly aus dem Lehrbuch, sie liebt Waffen und markige Sprüche. Irgendwie schafft es Vance zu den Marines, dann ins College und mit harter Arbeit zum Jurastudium nach Yale. Heute lebt er in San Francisco und arbeitet als Investor.

J. D. Vance: Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise. Übersetzt von Gregor Hens. Ullstein, Berlin. 304 Seiten, 22 Euro.