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Von Hans-Jürgen Heise
Nur über Cervantes ist mehr geschrieben worden als über Federico Garc í a Lorca, dieser allerdings ist der am meisten übersetzte Autor Spaniens. Der universelle Ruhm gilt hauptsächlich dem Lyriker, doch Erfolg und Breitenwirkung basieren auf seinen Dramen, die ihn zum populärsten Bühnenschriftsteller der hispanischen Welt gemacht haben. Sein früher Tod - die Ermordung durch die Faschisten 1936, gleich zu Beginn des spanischen Bürgerkriegs - hat ihm die Aureole eines politischen Widerstandskämpfers gegeben. Einen Nimbus, der nur hinsichtlich seiner antibourgeoisen Haltung, kaum aber wegen seines faktisch eher begrenzten politischen Engagements volle Geltung besitzt.
Schon von Mariana Pineda, der Protagonistin seines ersten öffentlichkeitstauglichen Theaterstücks, sagte Lorca, sie sei als „Märtyrerin der Freiheit“ in Wahrheit „ein Opfer ihres eigenen, verrückten Herzens“ gewesen. Das Rebellische, auch in anderen Dramen, zielte weniger auf radikalen gesellschaftlichen Umsturz als auf Möglichkeiten größerer persönlicher Trieb-entfaltung. Lorca setzte die Ächtung seiner Homosexualität indirekt gleich mit der Unterdrückung und Ausgrenzung spanischer Frauen.
Luis Bu ñu el, einem seiner besten Freunde aus Madrider Tagen, hat Lorca einmal anvertraut, dass er „eine Mädchen- und eine Jungen-Seele“ habe. Die Ambiguität der Gefühle befähigte ihn als Dramatiker, Frauengestalten zu erschaffen, die wie „Mariana Pineda“, „Die wunderbare Schustersfrau“, vor allem aber die Titelfiguren aus „Do ña Rosita“ und „Bernarda Albas Haus“ zu den plausibelsten Verkörperungen gehören, die das vorige Jahrhundert auf die Bretter gebracht hat.
Spiegelbilder innerer Konflikte
Sogar die Bäuerinnen in „Bluthochzeit“ und „Yerma“, zwei archaisierenden Stücken, spiegeln noch glaubhaft reale Figuren und zugleich eigene innere Konflikte ab. Yerma, die Unfruchtbare, ist ein Alter Ego des Dichters, und die Todesangst vor Messern, die zu Beginn von „Bluthochzeit“ beschworen wird, zieht sich durch das gesamte lyrische und dramatische Werk. Der Poet ist regelrecht traumatisiert von Messern und Dolchen, die allenthalben erwähnt werden und Liebe und Glück verhindern. Um dem Gedanken an Vergänglichkeit und physischem Ende etwas von seinem Schrecken zu nehmen, wehrt sich Lorca mit einer Art Totstellreflex. Besonders aufschlussreich ist hier das Stück „Sobald fünf Jahre vergehen“, das den Untertitel „Legende von der Zeit“ trägt. Die Naturgesetze scheinen aufgehoben, und die Geschehnisse verharren oder laufen sogar rückwärts, auf Kindheit und Geborgenheit zu. Die Stimmung ist ähnlich erstarrt, wie in der frühen Gedichtfolge der „Suites“, denn: „Die Welt ist groß, aber wir Menschen sind klein.“
Lorcas Prägung war die eines Kindes vom Land. Obwohl Sohn eines Großgrundbesitzers stand er den einfachen Menschen seines Geburtsdorfs Fuente Vaqueros näher als den Agrariern und den Bürgern der Provinzkapitale Granada, die, wie fast alle Städter, den Kontakt zur Natur und zur Volkskunst verloren hatten und nichts wussten von der „geträumten Hälfte ihrer Welt“.
Die Palette Lorcas ist groß und farbenkräftig und gibt das Zeug her zu Puppenspielen, heroischen Volksromanzen, erotischen Bilderbögen, surrealen Wechselgesprächen, Bauerndramen und dem sublimen Bühnen-Poem „Doña Rosita oder Die Sprache der Blumen“.
Jahrzehntelang waren Lorcas Werke (Gedichte, Dramen, Kurzprosastücke, Vorträge, Interviews, Briefe) auf Deutsch nur in den lizensierten Übersetzungen Enrique Becks zugänglich.
Ende eines Übersetzungsmonopols
Nach dem Tod des Deutschschweizers Beck im Jahr 1974 ging dessen Übersetzungsmonopol an eine Beck-Stiftung über. Daraus ergaben sich Komplikationen. Enrique Beck konnte die Nachlasswerke Lorcas nicht mehr berücksichtigen; seine sprachlichen Transpositionen wurden zudem auch mehr und mehr angegriffen und der Ungenauigkeit, der Altertümelei und der romantischen Ausschmückung bezichtigt. Schließlich kam es zum Bruch zwischen Suhrkamp, Lorcas deutschem Dachverlag, und der Beck-Stiftung.Manuel Fernández-Montesinos, Lorcas Neffe, schlug sich auf die Seite Suhrkamps. Doch eine Havarie auf Kosten des Dichters wurde abgewendet, und seit den 90er-Jahren erscheinen bei Suhrkamp neue Übersetzungen, bisher die Lyriksammlungen „Dichter in New York“ und „Zigeunerromanze“, aber auch Einzel- und Doppelausgaben der Bühnenwerke, die nun erstmals in einer angereicherten Edition vorliegen. Dieses Kompendium, betitelt „Die Stücke“, enthält neben den bekannten Werken auch Lorcas Dialoge, sein Filmskript „Die Reise zum Mond“, die beiden Puppenspiele über „Don Cristóbal“, diesen andalusischen Harlekin, sowie die Nachlassdramen „Das Publikum“ und „Komödie ohne Titel“.
Die Übersetzungen von Thomas Brovot, Hans Magnus Enzensberger, Susanne Lange und Rudolf Wittkopf sind durchweg gelungen, wenn sie auch nicht um so viel besser sind, wie man die Eindeutschungen Becks schlecht gemacht hat. Was das Nachwort von Martin Koppenfels anbelangt, so setzt der kalte Blick analytischer Vivesektion bereits bei Lebenszusammenhängen und Werkstellen ein, wo durchaus noch ein wenig mehr an Empathie angebracht gewesen wäre.
Federico García Lorca: Die Stücke. Neue Übersetzungen. Mit einem Nachwort von Martin von Koppenfels. Suhrkamp Verlag, Frankfurt. 566 Seiten, 32 Euro.
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