Wer ist eine Diva und wer nicht? André Rau weiß von vielen Stars, wie sie ticken, weil er sie schon vor der Linse hatte. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wenn Aichwalds Bürgermeister Nicolas Fink in diesen Tagen aus seinem Büro kommt, blickt er auf den Dalai Lama, Hand in Hand mit Modedesigner Kenzo. Dass deren Abbild an der Flurwand gegenüber hängt, hat der Schultes einem seiner Bürger zu verdanken: André Rau, einer der bekanntesten Mode- und Beautyfotografen weltweit, lebt seit zwei Jahren im Teilort Aichschieß. Die Ausstellung „Begegnungen – Hollywood zu Gast in Aichwald“ ist am Mittwoch mit viel Publikum im Rathaus eröffnet worden und zeigt rund hundert Starporträts, Mode-, Beauty- und dokumentarische Aufnahmen aus der Kamera des mittlerweile 60-Jährigen. Im Interview erzählt er, was ihn auf den Schurwald gebracht hat.

Was ist das Erste, was Ihnen einfällt, wenn Sie an Aichwald denken?

Rau: Ich muss hier immer an East Hampton denken. Ich hab in East Hampton gewohnt, in der Nähe von New York, Long Island. Und wenn man hier über die Landstraßen durch den Wald fährt, könnte man denken: ‚Ich bin in den Hamptons.‘

Sie haben davor in Städten wie Monaco, Los Angeles oder Paris gelebt. Wenn Sie nun hier sind: Haben Sie dann auch mal Sehnsucht nach dem Glamour der Großstadt?

Rau: Eigentlich überhaupt nicht. Ich pendle ja zwischen Paris und hier und bin eigentlich immer ganz froh, wenn ich in Paris in den TGV einsteigen kann. Ich freue mich, wenn ich hierher komme.

Weshalb?

Rau: Ich find’ Paris nicht mehr so aufregend, wie es war, als ich dort ankam. Es hat sich sehr verändert. Und mir gefallen jetzt die Natur und die Ruhe.

Wenn Ihnen hier doch mal etwas fehlt: Was ist das?

Rau: Mein ganzer Freundeskreis ist in Paris. Die Leute fehlen mir eigentlich am meisten. Aber sie kommen auch hierher. Ein Freund ist gerade da.

Sie sind von Paris wahrscheinlich rauschende Parties, viele Kultureinrichtungen und noble Restaurants gewohnt. Wohin gehen Sie, wenn Sie hier ausgehen wollen?

Rau: Ab und zu nach Esslingen ins Dick. Und mach’ die Runde in den Restaurants. Oder nach Stuttgart. Ich bin aber auch regelmäßiger Gast in den lokalen Einrichtungen von Aichwald.

Es ist wahrscheinlich eine Premiere, dass Sie in einer 7500-Einwohner-Gemeinde ausstellen. Welches Foto kontrastiert am meisten mit der Umgebung hier?

Rau: Ha, was für eine Frage. Es gibt so viele Fotos… Die, die am meisten kontrastieren, habe ich jetzt gar nicht aufgehängt.

Und wer von denen, die Sie abgelichtet haben, würde am besten nach Aichwald passen?

Rau: Ach, vielleicht Daniel Auteuil. Der mag gerne die Natur.

Welche Geschichte hinter der Entstehung eines Fotos hat sich besonders bei Ihnen eingebrannt?

Rau: Polanski kann ja nicht nach New York kommen und ich habe dort gewohnt. Da hat er mich gefragt, ob ich – er hatte gerade für den Pianisten gecastet – Adrien Brody fotografieren könnte. Von verschiedenen Winkeln aus, damit Polanski weiß, wie der tatsächlich aussieht. Dabei hat mich Adrien gefragt: ‚Kennst Du Roman?‘ Ich hab gesagt: ‚Ja, den kenn ich schon seit langem und sehr gut.‘ – ‚Wie ist er denn so?‘ Da hab ich gesagt: ‚Das ist jetzt nicht einfach. Aber er ist ein Mann, der sich sehr gut auskennt, der sehr gebildet ist und der sehr viel von Dir fordert.‘ Und ich hab Brody noch mit auf den Weg gegeben: ‚Aber wenn Du ihm zuhörst, gut mitarbeitest und tatsächlich auf ihn eingehst, ist er jemand, der Dich in den Aufzug stellen und hoch befördern kann.‘ Und so ist es auch passiert. Brody hat den Oscar gewonnen, er hat den Cesar gewonnen, den British Movie Award – also alles, was es gibt.

Das zeigt, dass Sie wohl eine gute Menschenkenntnis haben. Gehört das auch zu den Charaktereigenschaften, die Sie zu einem der bekanntesten Modefotografen der Welt gemacht haben?

Rau: Bei mir ist es auf jeden Fall so: Wenn ich arbeite, bleibt mein Ego eingeschlossen im Schrank. Der Star ist die Person, die fotografiert wird, und nicht ich. Ich spiele nicht die Primadonna, die die Wichtigste ist auf dem Set.

Und was gehört noch dazu, zu Ihrem Erfolgsrezept?

Rau: Ja, gute Fotos zu machen. Aber dafür hab’ ich kein Rezept. Ich wüsste jetzt nicht, wie das Foto aussieht, das ich morgen mache. Das passiert immer an Ort und Stelle.

Wie lange brauchen Sie für ein Foto?

Rau: Ich bin sehr schnell. Ich bin es gewohnt, dass ich immer derjenige bin, der am wenigsten Zeit hat. Wenn Friseur, Schminke und Stylisten mit ihrer Arbeit fertig sind, heißt es: Eigentlich müsste ich schon zuhause sein. Also ein paar Minuten.

Aber danach gibt es ja auch noch Arbeit. Wie viel Photoshop steckt denn in Ihren Fotos?

Rau: Zu der Zeit, als die meisten Bilder hier entstanden sind, gab es überhaupt noch kein Photoshop. Da gab es Jean Henri in Paris. Das war ein älterer Herr, der eine Retoucheur-Lehre gemacht hat mit 14. Ich glaub’, er hat aufgehört mit Retouchieren mit 85. Der hat die Bilder mit Rasierklinge und Buntstift bearbeitet. Photoshop kam dann erst später.

Aber es gibt immer eine Nachbearbeitung.

Rau: Nicht immer. Es gibt auch viele Bilder ohne Nachbearbeitung. Aber bei den Frauen wird natürlich schon immer ein bisschen nachgeholfen.

Trotzdem sind es ja die schönsten Menschen der Welt, die sich von Ihnen ablichten lassen. Können Sie denn noch mit normalen Leuten etwas anfangen?

Rau: Natürlich. Ich fotografiere gerne Kinder. Wenn Sie sich in der Ausstellung die Usbekistan-Bilder angucken, sehen Sie: Da sind nur Leute von der Straße. Mir ist es eigentlich am liebsten, wenn ich eine große Auswahl habe. Also wenn ich nicht nur Mode, nicht nur Kosmetik, nicht nur Celebreties fotografiere. Am liebsten ist es mir, wenn ich zwei Tage in der Woche das eine, dann das nächste und dann das andere mache.

Mit welchem Model hatten Sie es am schwersten?

Rau: Mit den wirklich Guten gab es eigentlich nie Probleme. Bis auf eine alte Zicke, Faye Dunaway, die war ganz böse bei einem Shooting. Und dann die B-Schauspieler. Aber von den ganz Guten eigentlich niemand. Die sind daran gewöhnt, Teamwork zu machen. Sie müssen sechs Monate lang auf dem Set mit den gleichen Leuten arbeiten. Und wenn sie Primadonnas wären und die Leute schlecht behandeln würden, käme die Retourkutsche.

Hat Sie auch mal jemand total überrascht? Weil Sie dachten, das ist ein ganz anderer Mensch.

Rau: Prince. Ich habe ihn mit seiner Frau Mayte für ein Cover für die spanische Vogue fotografiert. Das war in Paris. Sie sollten, glaube ich, um 9 da sein, und kamen dann um Mitternacht an mit vielen Bodyguards und Leuten. Ich hockte dann auf der Treppe. Unten das Studio, oben war die Mezzanine, wo die Frau geschminkt wurde. Ich saß also auf der Treppe und suchte meine Ruhe. Da hat Prince mich gefragt, ob er sich zu mir setzen dürfe, ob er sein nächstes Album auflegen dürfe und ob ich bei dem Song denken würde, dass er ein bisschen mehr Bass dazu tun sollte. Da hab’ ich gesagt: ‚Mach Du Dein Ding, Du bist der Mozart der Popmusik. Frag mich nicht, ich kenn’ mich da nicht aus.‘ Bei Prince hatte man das Gefühl, er sei ein bisschen arrogant, doch das war er gar nicht. In dem Moment auf jeden Fall nicht.

Haben Sie auch schon ein Model in Aichwald gefunden?

Rau: Nein, bis jetzt noch nicht.

Noch gar nichts fotografiert hier?

Rau: Doch, natürlich schon. Die Natur vor allem. Und eine Freundin. Aber einen Job hab ich hier noch nie gemacht.

Fragen von Greta Gramberg.

Info: André Rau in aller Welt und Aichwald

  • Geboren ist André Rau 1957 in Stuttgart, in Nellingen aufgewachsen und in Esslingen zur Schule gegangen. Mit acht Jahren hat er von seiner Tante, einer Fotografin, die erste Kamera geschenkt bekommen. Nach dem Abbruch einer unbefriedigenden Fotografen-Lehre wurde er durch Beharrlichkeit Assistent des renommierten Düsseldorfer Fotografen Peter Lindbergh. Mit ihm zog er im Alter von 20 Jahren nach Paris.
  • Durch ein Missverständnis zog Rau zwei Jahre später seinen ersten großen Job für die italienische Vogue an Land. Seither ist er in den bekannten Lifestyle-Magazinen präsent. Der Fotograf ist mit Regisseur Roman Polanski befreundet, der in nachdenklicher Pose im Aichwalder Rathaus hängt. Ebenfalls zu sehen sind Größen wie Catherine Deneuve, Penelope Cruz, Martin Scorsese oder George Clooney.
  • Seit zwei Jahren ist André Rau auf dem Schurwald: Sein Onkel, der ebenfalls in Aichwald wohnt, hat ihm ein Haus vermittelt. Die Familie hat ihm auch bei der Ausstellung geholfen: die Mutter die Fotografien gerahmt, ein Onkel sie ins Rathaus gefahren. Und auch unter den Gästen der Vernissage waren viele aus Raus Jugend – manche hatte er wohl Jahrzehnte nicht gesehen. Die Ausstellung läuft drei Monate.