4.10.2017 Jugendliche tauschen sich auf der Jugendkonferenz des Kreises mit Politikern aus.

 Foto: Ait Atmane/Bulgrin/Lindlohr

Sie wollen nicht nur „mehr Plätze zum Chillen“. Sie fordern Chancengerechtigkeit in der Bildung, günstigere Fahrpreise für Bus und Bahn, sie wollen einen besseren Politik-Unterricht an der Schule und mit 16 Jahren wählen gehen. Fast 180 Jugendliche haben gestern bei „Meet & Greet“, der ersten Jugendkonferenz im Landkreis Esslingen, den Kommunal- und Landespolitikern deutlich gesagt, wie sie sich die Zukunft vorstellen.

Von Roland Kurz

„Coole Sache“, findet Marco Geppert, der gerade vor dem Landratsamt Mittagspause macht. Seit halb zehn saß er in den Workshops Bildung und Mobilität, um für die Gespräche mit den Politikern vorbereitet zu sein. „Es war spannend, mit Gleichaltrigen aus anderen Städten zu diskutieren, die man sonst nicht trifft“, sagt der 17-Jährige, der aufs Esslinger Georgii-Gymnasium geht. „Man fühlt sich als Jugendlicher ernst genommen“, sagt Selin Dervis (15). Sie meint die Leiter der Workshops und die Politiker, die extra herkommen. Maximilian Güldner (18) ist bereits im Esslinger Jugendgemeinderat und kommt aus dem Workshop „Jugendpolitik“ mit neuem Elan heraus. „Wir könnten in der Öffentlichkeit präsenter sein, die Auftritte auf Facebook und Instagram besser machen.“ Der Gymnasiast ist überzeugt, dass Jugendliche etwas bewegen können: „Wir haben für Nachtbusse gekämpft und nächstes Jahr fahren sie!“

Nach der Pizza-Pause stieß ein Dutzend Politiker zu „Meet & Greet“ dazu, um sich die Ergebnisse der Workshops anzuhören und mit den Jugendlichen zu diskutieren. Dass die Arbeitsgruppe Freizeit „Mehr Plätze zum Chillen für über 15-Jährige, mehr Events in Esslingen“ forderte, verwundert nicht. Schon eher, mit welcher Vehemenz die Jugendlichen das Bildungssystem in Frage stellten: „Warum gibt es kein einheitliches System in Deutschland?“ Außerdem müsse ein Bildungsplan her, „der auf das Leben vorbereitet - mit mehr Informatik, Steuerrecht und Wirtschaft.“ Dafür gab es tosenden Applaus.

Eine Gruppe fasste ihre Debatten auf Protestplakaten zusammen, zum Beispiel „Überwachung im öffentlichen Raum auf ein Minimum reduzieren!“ Sonst sterbe die Freiheit, fürchten die Jugendlichen.

„Eure Anregungen sollen nicht verloren gehen“, versprach Landrat Heinz Eininger. Vier Jugendliche aus dem Kreis sollen beim Jugendlandtag am 7./8. November in Stuttgart mitmischen. Für den „Zusammenhalt der Gesellschaft“ müsse man sich engagieren. Eininger gestand zu, dass die politischen Strukturen „nicht immer jugendgerecht“ gestaltet seien. Zwei Politiker, die sich in den Strukturen zurecht gefunden haben, machten den Jugendlichen Mut. Der 23-jährige Michael Medla war 2012 auf dem Vorläufer des Jugendlandtags auf dem Hohenneuffen noch als Vertreter seiner Schule dabei, nun sitzt er für die SPD im Kreistag. Und der frühere Kirchheimer Jugendgemeinderat Andreas Schwarz ist heute Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag.

Der Abgeordnete durfte sich in einer Diskussionsrunde ebenso wie Wernaus Bürgermeister Armin Elbl und CDU-Kreisrätin Ilona Koch beim Thema Mobilität mit rhetorisch versierten Jugendlichen messen. „Das darf doch nicht sein, dass man mit dem Auto günstiger und schneller nach Stuttgart kommt als mit der S-Bahn“, meinte eine Schülerin. Übervolle Busse, schlechte Anschlüsse wurden ebenfalls moniert. Die Forderung nach günstigeren Tarifen für Jugendliche werde er an die SSB herantragen, sagte Schwarz zu, „aber das wird nicht leicht zu lösen sein“. Für die vorsichtige Bemerkung erntete der Grünen-Chef ein kräftiges Contra: „Es kann nicht sein, dass ich mich auf Feinstaub-Alarm freue, weil dann die Tickets billiger werden!“ Verblüfft nahmen die Politiker zur Kenntnis, dass einige Jugendliche die Tempolimits auf der B 10 nicht so toll finden.

Genauso energisch setzten sich die Jugendlichen für das Wahlrecht ab 16 ein. Steffen Weigel, Bürgermeister in Wendlingen und SPD-Kreisrat, hätte damit kein Problem. Es gebe auch keine Altersbegrenzung nach oben und manche Ältere seien bei den Zukunftsthemen auch nicht auf Höhe der Zeit. REP-Kreisrat Ulrich Deuschle befürchtete dagegen, dass 16-Jährige noch stark von Lehrern beeinflusst werden könnten. Man werde nicht nur von Eltern und Lehrern beeinflusst, sondern wie die Erwachsenen auch von Facebook und anderen Quellen, hielt ein Schüler dagegen. Der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann kam mit seinem großzügigen Vorschlag, die Jugendlichen sollten doch ihren Freiraum bewahren anstatt sich mit den „großen Themen des Landtags“ zu befassen, nicht gut an. Eine Schülerin schleuderte ihm entgegen: „Das betrifft doch unsere Zukunft!“

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