Ferkel Johnson Foto: Alexandra Klein - Alexandra Klein

Ein kunterbuntes Völkchen schart sich um den Maitre de Plaisir, Ferkel Johnson. Lasziv, frech, sexy. Tingeltangel-Kunst, immer scharf an der Grenze zum guten Geschmack.

StuttgartIst das bloß Striptease oder doch schon Kunst?“ fragten manche, als die Stars im Stuttgarter Friedrichsbau vor neun Jahren die Hüllen fallen ließen. Einige witterten gar ein Skandälchen, schließlich wird nackte Haut nicht überall so selbstverständlich gezeigt. Dem Publikum war’s egal: Die „Sugar Blue, Rock’n’Burlesque-Revue“ wurde ein Riesenerfolg, und sie machte vielen Tingeltangel-Fans Lust auf mehr. Seither pflegt Regisseur Ralph Sun diese Kunstform mit der ihm eigenen Kreativität. In seinen „Burlesque Affairs“ setzt er nun noch einen drauf. Wer den künstlerischen Leiter und seine Friedrichsbau-Shows kennt, der weiß, dass er prickelnde Erotik mit artistischen Finessen zu verbinden weiß. Und die gibt es in den „Burlesque Affairs“ ausgiebig zu bestaunen.

Burlesque-Shows knüpfen nahtlos an beste Traditionen des amerikanischen Vaudeville-Theaters an, das Striptease schon in den 20er-Jahren zur Kunstform erhob – wobei sich die vorwiegend weibliche Künstlerschaft nicht einfach nur der Kleidung entledigt: Das Ausziehen wird lustvoll zelebriert, vieles wird nur mit frivolem Augenzwinkern angedeutet und selbstironisch parodiert, manches muss der geneigte Zuschauer in seiner Fantasie vollenden. Dazu passen im Friedrichsbau perfekt ein reizvoll-minimalistisches Bühnenbild mit großer Showtreppe und ein großartiges Lichtdesign, das für jede Nummer die perfekte Stimmung schafft, in der jeder Künstler perfekt zur Entfaltung kommt.

Verruchtes Grinsen

Es ist ein kunterbuntes und bisweilen sündig-laszives Völkchen, das Ferkel Johnson auf der Bühne um sich schart. Als Maitre de Plaisir führt die Berliner Rampensau durch einen Abend voller Überraschungen. Lustvoll macht Ferkel seinem (Künstler-)Namen alle Ehre und lotet mit sichtlichem Vergnügen die Grenzen guten Geschmacks aus. Wenn der Conferencier mit charmantem Augenaufschlag und verruchtem Grinsen ein Stückchen weiter geht, nimmt ihm das keiner krumm. Und wenn er mit seinen Gags auch mal ganz leicht danebenliegt, passt das zu einer Show, die nun mal ein wenig anders sein will als die anderen.

Natürlich dürfen in einem Programm wie diesem die prickelnden Momente nicht fehlen. Und man darf immer wieder staunen, wie einfallsreich Mann (oder besser: Frau) die Hüllen fallen lassen kann. Doch das ist niemals Selbstzweck, sondern Teil einer Inszenierung – so wie bei Janet Fischietto, die als „Snake Charmer“ Elemente des orientalischem Bauchtanzes zum flotten Hot-Jazz-Sound zeigt, während sie im „Midnight Garden“ eine ungemein poetische Stimmung zelebriert. Getanzte Leidenschaft zeigt auch die Portugiesin Louise L’Amour, deren Choreografien nicht nur vom Zauber der Bewegung, sondern auch von ihren opulenten Kostümen leben. Vivi Valentine zählt zu den Stars der internationalen Burlesque-Szene, und sie bringt nicht zum ersten Mal den Zauber großer Revuetheater in den Friedrichsbau.

Besonders reizvoll sind die „Burlesque Affairs“ immer dann, wenn artistische Finesse und prickelnde Erotik Hand in Hand gehen – so wie beim Duo Miss Skopalova & Bray, die Partnerakrobatik in Perfektion demonstrieren und dabei hohe Verführungskunst beweisen. Und weil Miss Skopalova auch am Aerial-Ring eine Klasse für sich ist, darf sie zu mitreißenden Tango-Klängen in luftiger Höh’ Anmut und artistische Finesse kunstvoll miteinander vereinen. Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger bereichern die „Burlesque Affairs“ nicht nur mit einer anspruchsvollen und trotzdem federleicht wirkenden Partnerakrobatik-Nummer – auch solo sind die beiden ein Hingucker: Sie zeigt famose Luftakrobatik am Tuch, und er gibt den Schornsteinfeger, der über den Dächern der Stadt auf scheinbar spielerische Weise und stets mit einem Lächeln die hohe Kunst der Equilibristik zelebriert.

Nie vor Überraschungen sicher

Varieté schöpft aus einem reichen Fundus vertrauter Elemente, die immer wieder neu und überraschend präsentiert und kombiniert werden und deren ganz besonderer Reiz in der Originalität der Darbietungen liegt. Und der Zuschauer ist vor Überraschungen nie sicher. Artistik ist eine ernsthafte Kunst, doch der Spaß darf nie zu kurz kommen. Das beweist das Duo Les Dudes, zwei ungemein vielseitige und ausgesprochen humorvolle Künstler. Der eine gibt den Ernsthaften, der andere ist die Ulknudel. Und egal, ob Keulen oder Kistchen fliegen oder Hula-Hoop-Ringe kreisen – die beiden sorgen für viel Vergnügen. Vor allem dann, wenn sich Francis Gadbois von seinem Bühnenpartner Philippe Dreyfuss als überkandideltes Zirkusäffchen auf dem Kunstrad vorführen lässt. Sheyen Caroli schließlich ist eine vorzügliche Kontorsionistin. Im Friedrichsbau zeigt die Schlangenfrau Kraft und grazile Anmut, wenn sie die Gesetze der Anatomie außer Kraft zu setzen scheint. Und als ob das noch nicht genug wäre, schießt sie aus dem Handstand mit Pfeil und Bogen – eine Nummer, die man auf Varieté-Bühnen wahrlich nicht alle Tage sieht. Genau wie eine Show wie die „Burlesque Affairs“.