Foto: Bulgrin

Von Johannes Gläser

Sich am Feuer wärmen, Glühwein trinken und alte Bekannte treffen – am letzten Tag des Jahres hat der Silvester-Fackellauf in vielen Familien feste Tradition. Manch einer sieht sich das ganze Jahr über nicht und trifft sich dann bei diesem Jahresausklang an der Römerstraße. Geschätzte 3000 Teilnehmer strömten auch diesmal bei frostigen Temperaturen zur 28. Auflage der Veranstaltung. Für den guten Zweck halfen viele Ehrenamtliche aus der Esslinger Vereinslandschaft an den Verkaufsständen mit – denn der Erlös kommt auch dieses Jahr der EZ-Weihnachtsspendenaktion zugute.

Kaum war die Sonne untergegangen, bildete sich langsam eine leuchtende Karawane. Fackeln und Lampions brachten vor allem Kin-der zum Träumen. „So muss sich ein olympischer Fackelläufer also fühlen“, sagte Julian Koch. Für ihn und seine Familie ist der Fackellauf jedes Mal ein Erlebnis. Deshalb nahmen sie auch nicht die kleine Runde, sondern den zweieinhalb Kilometer langen Panoramaweg. In der Dämmerung reichte die Sicht vom Neckartal bis zum Stuttgarter Fernsehturm. Grund genug für manchen, ein Selfie zu machen. „So einen klaren Blick habe ich hier nur selten erlebt“, äußerte Helga Schmid Verständnis. Auch wenn die Selfie-Jäger gelegentlich das Tempo verlangsamten.

Rund um den Fackellauf halfen etwa 70 Ehrenamtliche mit. „Vom Schulkind bis zum Rentner sind bei uns alle Generationen dabei“, erklärte Organisatorin Karin Pflüger. Auch der Aikido-Verein Esslingen hält die Veranstaltung seit vielen Jahren am Laufen. Statt Würstchen oder Glühwein verkauften dort zehn Kampfsportler diesmal die Fackeln für den Lauf. Außerdem gab es hölzerne Glückstaler, die man in das Feuer werfen konnte. „Wir wollten die Weihnachtsspendenaktion unterstützen, weil sie wichtig für die Stadt ist“, berichtete der Vorsitzende Robert Wurfer. Schließlich nütze die Aktion auch der Esslinger Vereinskultur. „Deshalb geben wir heute etwas zurück“, so Wurfer. Den großen Besucheransturm nahm er gelassen zu Kenntnis: „Wir haben heute noch eine ganze Menge Fackeln auf Lager.“ Improvisationstalent musste OB Jürgen Zieger beweisen. Er wollte vor dem Startschuss zum Fackellauf die Teilnehmer mit einer kurzen Rede begrüßen. Allerdings war die Lautsprecheranlage unauffindbar. Also sorgte Organisatorin Karin Pflüger mit einigen Rufen für Aufmerksamkeit in der Menge. In seiner Rede betonte Zieger die angespannte weltpolitische Lage. „Wir erleben eine Welt in Veränderung und Aufregung und stehen vor einem anstrengenden Jahr 2017.“ Deshalb appellierte er an die Gesellschaft, jetzt näher zusammenzustehen. Die Esslinger Abgeordneten Wolfgang Drexler und Markus Grübel kümmerten sich um die jüngeren Besucher. An der Laufstrecke verteilten sie Schokoladen-Nikoläuse.

Einmal im Jahr alte Freunde treffen, die man sonst aus den Augen verlieren würde. Das ist für einige ein festes Ritual beim Fackellauf. Zum 27. Mal trafen sich Walther Saulich und Horst Schurr an der Römerstraße. „Nur 2000 habe ich den Lauf verpasst“, erinnerte sich Horst Schurr, „weil ich zum Millennium im Urlaub war.“ Als Außenläufer und Stürmer begann ihre Freundschaft vor 56 Jahren beim SV Mettingen. Gemeinsam mit Familie und Freunden treffen sie sich jeden Silvesterabend aufs Neue am Stand des Aero-Clubs. Für Schurr ist mittlerweile nicht der Fackelzug, sondern das Wiedersehen entscheidend. „Deshalb brauchen wir auch keine Fackeln mehr“, so Schurr.

Der Fackellauf war oft nur der Startschuss in die Silvesternacht. Danach warteten weitere Höhepunkte. Besonders auffällig er-schien Fabian Jörgel mit seinem knallgelben Ganzkörper-Kostüm an der Römerstraße. Es handelte sich um den Schutzanzug des Walter White aus der US-Serie „Breaking Bad“, klärte der 15-Jährige auf. Gemeinsam mit Freunden wollte er so in das neue Jahr starten. „Wir alle tragen dabei diese Verkleidung“, so Jörgel. Andere beschlossen, den Jahreswechsel weiter im Freien zu verbringen. „Erst mal geht es zurück in die Innenstadt, dann entscheide ich mit meinen Freunden, zu welchem Aussichtspunkt wir gehen“, sagte Franziska Clauß. Zuvor wollte sie aber noch einen Glückstaler in die Feuerstelle werfen. „Ein bisschen Glück kann auch 2017 nicht schaden.“