Der ehemalige VfB Profi Cacau ist heute DFB-Integrationsbeauftragter. Er wohnt mit seiner Familie aber weiterhin hier in der Region. Foto: dpa - dpa

#gEZnoch meets Cacau zu einem lustigen, ehrlichen und überraschenden Gespräch

Seit 2016 ist Cacau, der eigentlich Claudemir Jerônimo Barreto heißt, Integrationsbeauftrager des DFB. #gEZnoch traf den 36-Jährigen in Weinstadt – wir quetschten den ehemaligen VfB-Star über Lügen, Intrigen und Foul-Spiele aus. Da EZ-Redakteur Fabian Schmidt früher für die VfB-Pressestelle gearbeitet hat, kennen sich die beiden ganz gut. Nach einer großen Anzahl von Whatsapp-Nachrichten hat es mit dem Interview geklappt.

Von Sabrina Erben und Fabian Schmidt - Wir sind 20 Minuten zu früh da und suchen schon mal einen guten Platz im Café Berner in Weinstadt aus. (Selfietauglich und ruhig soll es sein). Dann heißt es: Warten. Fabi packt die Mindmap aus, seine Geheimwaffe für Interviews. Er muss sich ein paar Streber-Witze anhören. Endlich fährt Cacau vor. Kollege Schmidt dreht sich vor Freude etwas zu ruckartig um, sein Ellenbogen touchiert die volle Tasse Milchkaffee und dann passiert es: So eine Sch...! Wir kriechen unter den Tisch, um die hellbraune, riesige Lache Kaffee aufzuputzen. Cacau kommt langsam hereingeschlendert, schaut sich die Szene an, grinst und sagt zu Fabi: „Bist Du etwa aufgeregt?“


Früher hieß es: Fußball ist ein ehrlicher Kampf Mann gegen Mann. Inwiefern trifft das heute noch zu?
Cacau: Früher hat es auf dem Platz schon mal gekracht, aber außerhalb des Platzes war es dann wieder vorbei. Heute, so ist mein persönlicher Eindruck, schimpft man eher hinter dem Rücken des anderen.

Woran kann das liegen?
Cacau: Weil man Angst vor Auseinandersetzungen hat. Und weil es für viele unvorstellbar scheint, sich auch mal offen und ehrlich zu streiten und dann wieder miteinander klarzukommen. Für mich ist das eine gesellschaftliche Entwicklung. Es ist in manchen Fällen sicher gut, weil es viel ungerechte Kritik gibt. Andererseits muss man wissen, woran man ist, um Leistung zu bringen und sich verbessern zu können. Wenn die Kritik ehrlich und sachlich ist, muss man damit umgehen können. Leider können das aber nur wenige Menschen.

Warst Du von Dir aus bei Auseinandersetzungen rund um den Fußball immer ehrlich?
Cacau: Ja. Ich war eben ein Hitzkopf. Ich hasse es, zu verlieren. Man merkt es mir an, man sieht es mir an. Manche konnten es nicht nachvollziehen, dass man auf dem Platz ein Hitzkopf ist und danach wieder normal und entspannt.

Auf dem Spielfeld wird getrickst, es wird getäuscht, es kommen auch Schwalben vor. Gewissermaßen wird also gelogen. Hat man da ein schlechtes Gewissen, oder werden diese kleinen „Unfairheiten“ dem Sieg untergeordnet?
Cacau (guckt wie ein Auto): Ich glaube nicht, dass jemand mit der Absicht auf den Platz geht, eine Schwalbe zu machen. Das ergibt sich in der Situation. In einem Spiel gegen Bielefeld lag ein Gegenspieler bei uns im Strafraum. Dann kam der Ball zu mir, ich wollte ihn ins Aus schieben, aber dann habe ich im Augenwinkel gesehen, wie der Torhüter auf mich zugestürmt kam. Daraufhin hab ich weiter gespielt, weil ich dachte, es geht doch weiter. Und habe aus 40 Metern geschossen – und der Ball ging tatsächlich rein. Nach dem Spiel habe ich mich entschuldigt und gesagt, dass ich so nicht gewinnen will. „Scheinheilig“ war dann die große Schlagzeile. In einem anderen Fall habe ich in der Meistersaison 2007 in Hamburg einen Gegenspieler geschubst und dann ein Tor erzielt. Für solche Situationen gibt es ja aber auch den Schiedsrichter. Er entscheidet dann. Es ist unüblich zum Schiri zu gehen, Fußball ist ein Kontaktsport, Fouls gehören einfach dazu. Wenn er entscheidet, laufe ich nicht freiwillig zu ihm hin und sage: Das war ein Foul.

Aber eigentlich schade. Wenn es jeder machen würde, wäre es gut. Man redet immer von Fairplay.
Cacau (guckt noch mehr wie ein Auto, quasi wie ein Bus): Ich wurde ja auch schon im Strafraum gefoult, und es gab keinen Elfmeter. Das gehört dazu. Aber wenn der Schiri fragt, dann würde ich die Wahrheit sagen.

Spätestens jetzt merkt Cacau, dass das #gEZnochInterview etwas anders läuft als normale Gespräche. Er bestellt sich zur Stärkung erst mal Frühstück (Spiegelei und Speck) und isst in aller Ruhe. Er denkt, er hat das Schlimmste überstanden. Würde er ein Blick auf die in Kaffee getränkte Mindmap meines Kollegen werfen, wüsste er es besser. Weiter gehts:

Ein Profi will in die Startelf, ist aber angeschlagen. Kann man überhaupt ehrlich sein gegenüber Mitspielern oder Trainern?
Cacau: (schlägt die Hände über dem Kopf zusammen) Ist es unehrlich, wenn man sich schlecht fühlt, dann doch spielt und die Partie entscheidet? Entschuldigung, ihr seid nicht die Befragten (lacht) . . .

. . . clevere Taktik . . .
Cacau: . . . die Realität ist doch auch, dass bekannt ist, ob ein Spieler angeschlagen ist oder nicht. Je nach Spiel riskiert man als Spieler die Gesundheit, um dem Verein oder der Mannschaft zu helfen. Das ist ja keine Lüge. Wenn man die Spieler in der Bundesliga nach gesundheitlichen Problemen fragen würde, müssten fast alle mit ‚Ja‘ antworten. Es tut aber niemand. Lügt dann derjenige, der die meisten Schmerzen hat? Ganz ehrlich, das ist schwierig. Ich hatte solche Situationen auch. Ab einem gewissen Alter plagt man sich immer mit diversen Blessuren herum.

Ist der Profifußball ein verlogenes Business?
Cacau: Man kann das nicht verallgemeinern. Es gibt ehrliche Menschen und unehrliche Menschen in allen Ebenen – wie in jedem anderem Business auch.

Kannst Du gut lügen?
Cacau: Nein, das ist nicht meine Stärke und darüber bin ich heute sehr froh. Ein Beispiel: Vor meinem Transfer nach Stuttgart sollte ich hier eine Wohnung anschauen. Ich war angeschlagen, der Arzt hat mich für eine Behandlung freigestellt. Ich war dann aber weder bei der Behandlung, noch bei der Wohnungsbesichtigung in Stuttgart. Als der Trainer mich am übernächsten Tag stocksauer gefragt hat, wo ich gewesen sei, habe ich gesagt, dass ich in Stuttgart war. Die Lüge kam raus und er hat mich suspendiert. Damals habe ich für mich beschlossen: Ich zahle den Preis für die Wahrheit, aber nicht für die Lüge. Lieber werde ich bestraft, weil ich etwas zugegeben habe.

Und wie gut bist Du im Lügen entlarven?
Cacau: Erst einmal möchte ich grundsätzlich den Menschen vertrauen. Ich bin ein offener Mensch, daher kann man mir vieles erzählen. Ich prüfe aber auf jeden Fall, was man mir sagt, wenn es wichtig für mich ist.

Bist Du schon einmal richtig schlimm angelogen worden?
Cacau: Ja.

Kannst Du drüber sprechen?
Cacau: Ja, es ging um viel Geld. Eine Person, der ich sehr vertraut habe, hat damals mein Vertrauen sehr missbraucht und mich angelogen – und dies nicht nur einmal.

Wie reagiert Cacau denn auf solche Lügen?
Cacau: Enttäuscht, aber auch vergebend.

Hast Du noch Kontakt zu dieser Person?
Cacau: Ja. Aber das Vertrauen ist zerstört, und ich vertraue dieser Person nichts mehr an. Den Kontakt ganz abzubrechen, wäre mir zu hart. Das ist aber nicht einfach. Es gibt Leute, die auch Nahestehenden sagen: ‚Ich schaue Dir nie mehr in die Augen.‘ Aber ich könnte das nicht.

Verleitet Geld die Menschen zu schlechten Aktionen?
Cacau: Die Bibel sagt: ‚Es ist nicht das Geld selbst, sondern die Liebe zu ihm, die zu viel Bösem führt.‘ Das Geld an sich ist ja nicht schlecht, sonst könnten wir den Kaffee hier nicht bezahlen.

Aber sehr viel Geld ist vielleicht schlecht?
Cacau: Auch hier hat die Bibel eine Antwort: ‚Wenn man kleinen Dingen treu ist, ist man es auch großen Dingen.‘ Das heißt: Wenn ich nicht lüge, um an wenig Geld zu kommen, werde ich es auch bei viel Geld nicht machen. Es geht um die Haltung zum Geld. Es gibt Menschen, die Geld ohne Ende haben und eine ehrliche Haut sind. Die verkaufen sich nicht. In einem Buch über Finanzen habe ich gelesen, dass man das Geld nicht unbedingt haben wollen darf, um an viel Geld kommen zu können. Das hat mir verdeutlicht, wie wichtig die richtige Haltung ist.

In der Bibel steht auch, dass man seinen Nächsten lieben soll. Aber im Fußball tut man seinem Nächsten ja weh, wenn man ihn foult oder wenn man bei einem Tor jubelt. Wo ist beim Torjubel die Nächstenliebe . . .

Cacau: . . . ooooaaaahhhhhh (lacht)

Die Frage war von uns nicht ganz ernst gemeint, wir haben sie mit einem Augenzwinkern gestellt. Und was macht Cacau? Er überrascht uns mal wieder. Er findet die Frage nur im ersten Moment lustig, dann kommt eine sehr nachdenkliche Antwort.

Cacau: Eine der wichtigen Fragen, die ich mir zu Beginn meiner Karriere gestellt habe, lautete: Wie kann man Leistungssport betreiben, wenn man seinen Nächsten lieben soll? Ich habe Frieden mit mir geschlossen, als ich zu der Erkenntnis kam, dass Fouls oder Tore schießen zu dieser Sportart dazugehören. Wenn ich damit nicht leben kann, dann muss ich mir eine andere Sportart suchen. Ich habe viel mit mir gekämpft und mir oft die Frage gestellt: ‚Kann ich Fußballer werden , wenn ich Christ bin und an die Botschaft der Bibel glaube?‘

Was hat Dir geholfen?
Cacau: Gespräche mit anderen, die das auch erlebt haben, mit Menschen, die auch Christen sind und seit vielen Jahren im Profisport. Es gehören auch Fehler zu unserem Leben dazu, egal wo wir sind. Ich habe in meinem Fußballerleben drei Platzverweise bekommen, zweimal Gelb-Rot und einmal Rot wegen Tätlichkeit. Vor allem die rote Karte im Pokalfinale war schlimm für mich. Ich wurde dafür bestraft. Aber, man dürfte dann auch nicht Autofahren und geblitzt werden. Wo ist da die Nächstenliebe zur Stadt? (lacht). Es ist immer ein schmaler Grat. Man lernt dazu, ist nie perfekt, aber man versucht sein Bestes zu geben.

Fabian Schmidt und Sabrina Erben . . . haben zusammen mit Cacau sehr viel gelacht. Dennoch sind alle Drei auch ernst gewesen und haben ehrlich miteinander gesprochen.