Foto: Ferienregion Wilder Kaiser - Ferienregion Wilder Kaiser

Hans Sigl versetzt als Dr. Martin Gruber Millionen von Zuschauern in Verzückung, wenn er vor malerischer Kulisse im Fernsehen praktiziert.Das Highlight der Anhänger: der Fan-Tag. Und mittendrin unsere Autorin. Die Heimatserie geht nun in die elfte Staffel und eine Ende des Hypes ist nicht ins Sicht. Gut für die Tourismusregion Wilder Kaiser, die vom „Bergdoktor-Effekt“ mittlerweile enorm profitiert.

Von Karla Schairer

Vor der Reise an den Wilden Kaiser, ins Bergdoktorland. Die (überwiegend männlichen Kollegen) schwärmen: „An diesem Berg war ich klettern als junger Kerl, am Totenkirchl, drei plus Schwierigkeitsgrad – damals“, sagt der eine und macht gleich per Google-Bildersuche ein bisschen Büro-Urlaub. „Da waren wir mal Skifahren als du ein Kind warst“, sagt mein Vater. Schön, aber ich fahr’ doch nicht wegen des Bergsports dorthin. Gut, die Landschaft ist wirklich beeindruckend. Aber ich habe nur Augen für einen, den Doktor. Den Bergdoktor. Und ich werde nicht die Einzige sein: In Scheffau findet der Bergdoktor-Fan-Tag statt, sozusagen das Weihnachten der Fans der Heimatserie. Dieser Tag, der sich seit 2010 steigender Beliebtheit erfreut, ist mit 1300 Tickets restlos ausverkauft, die Hotels ausgebucht. Noch zwei weitere Fan-Tage werden in diesem Jahr stattfinden. Um diesen Wahnsinn zu verstehen, bin ich mit einer Delegation von Journalisten an den Wilden Kaiser gereist.

Tags zuvor ist Scheffau ein verschlafenes Städtchen, neben der Volksschule hinter der Kirche ist schon die Bühne aufgebaut, auf der am nächsten Tag Hans Sigl alias Dr. Martin Gruber seine öffentliche Sprechstunde geben wird. Schon am Abend vorher pilgern Fans dorthin und fotografieren die leeren Sitzbänke. Als echter Fan mache ich das dann eben auch.

Seit 2008 die erste Staffel der Serie im ZDF und ORF ausgestrahlt wurde, wächst der Hype kontinuierlich: Rund sieben Millionen Zuschauer sahen die zehnte Staffel im ZDF, das entspricht einem Marktanteil von 20,4 Prozent. Auch ich bin donnerstagabends nicht verfügbar, wenn Hausarzt Gruber seltenste Krankheiten vor atemberaubendem Bergpanorama heilt – und nebenher allerlei Probleme mit Frauen, seinem Bruder Hans, deren gemeinsamer Tochter Lilli (ja, es ist kompliziert) und dem Gruberhof zu lösen hat.

Das zieht. Mittlerweile wird die Serie nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Slowenien, Kroatien, Dänemark, Lettland, Estland, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und sogar in den USA und Kanada ausgestrahlt. Polen soll folgen, allerdings ist da die Synchronisation mit nur einer Stimme geplant. Interessant. In Slowenien gab es sogar schon einen eigenen Fan-Tag – 4000 Fans sammelten sich in einem Einkaufszentrum und feierten Bergdoktor Hans Sigl.

Der Bergdoktor ist ein Phänomen, das Generationen verbindet. Zuerst war nur meine Oma Fan, dann erwischte das Fieber auch meine Eltern, meine Schwester und mich. Auch was die Medien angeht, gibt es keine Grenzen: Journalisten von Boulevard-Blättern wie SuperIllu, Die Neue Frau und dem Kölner Express, aber auch vom Lenkrad, dem Mitgliedermagazin des ACE, und der Ärzte Zeitung sind beim Fan-Tag vertreten.

Von dem Hype hat der Tourismus längst profitiert: 2011 gaben 71,4 Prozent der Gäste an, dass die Serie mitentscheidend für die Wahl des Urlaubsziels an den Wilden Kaiser war, sagt Lukas Krösslhuber, Chef des Tourismusverbands Wilder Kaiser. Vermutlich dürfte die Zahl mittlerweile noch höher liegen. Seit 2013 die Serie in Spielfilmlänge ausgestrahlt wird, nahmen die Übernachtungen im Sommer um mehr als 25 Prozent auf eine Million zu. Diese Anzahl wurde früher nur in den Wintermonaten erreicht. „Die Hälfte des Zuwachses ist auf den Bergdoktor zurückzuführen“, sagt Krössl-huber. „Etwas Besseres kann einem im Tourismus nicht passieren.“

Der Kniff der Serie und das Glück für den Tourismusverband: Die Region Wilder Kaiser ist der eigentliche Hauptdarsteller. Im 2000 Einwohner kleinen Going sind Dorfplatz, „Wirtshaus“ (eigentlich ein Wohnhaus), „Apotheke“ (Pfarrhaus) und eine fiktive Polizeiwache. Oberhalb von Söll liegt der „Gruberhof“ (Köpfinghof). In Ellmau steht die „Praxis“, der alte Bauernhof Hinterschnabl von 1694 und Elternhaus des langjährigen Ellmauer Bürgermeisters Hans Leitner. Der hiesige Filmexperte Peter Moser, mit Waden so dick wie Köpfe von Kleinkindern, erklärt, dass das Praxisschild schon öfter geklaut wurde, deshalb hängt dort das alte Schild von Grubers Vorgänger Dr. Roman Melchinger (Siegfried Rauch). Moser verrät: „Die Schauspieler verstehen sich auch privat närrisch gut.“

Das bestätigt auch Hans Sigl: „Bei der ersten Leseprobe haben wir gemerkt, dass da etwas ganz Spezielles passiert.“ Zu den Fantreffen ist Sigl wie die anderen Schauspieler vertraglich verpflichtet. Dennoch: Jeden Fanbrief beantwortet er persönlich und individuell. Er hat schon Briefe aus Namibia, China und Indien bekommen.

„Ich bin für alle nur die Lilli“, sagt Ronja Forcher, die beim Spaziergang um den Hintersteiner See von den Fans fast überfallartig umarmt wird, als würden sie die 21-Jährige kennen. Sie haben sie als Lilli Gruber im Fernsehen aufwachsen sehen, versucht Forcher die Distanzlosigkeit zu erklären: „Die Zuschauer haben dieses totale familiäre Gefühl, dass sie dazu gehören.“

Bei ihrem Film-Papa Sigl können die Fans differenzieren. „Die Zuschauer wissen, dass ich Schauspieler und kein Arzt bin. Sie erwarten keine Diagnose von mir. Dennoch erzählen sie mir viel von ihren persönlichen Schicksalen“, sagt Sigl bei der Presse-Privataudienz. Mittlerweile sei die Serie sehr emotional geworden. Daher wünscht sich der Schauspieler: „Ich würde gerne mal Feuer- oder Autostunts machen. Ich brenn’ ganz gerne.“ Er grinst verschmitzt und ein paar Journalistinnenherzen schmelzen. Einen Stunt mit seinem alten, grünen 123er Mercedes (nebenbei auch privat Sigls erstes Auto) wird er aber nicht wollen. Sigl liebt den Oldtimer: „Es ist ein ruhiger Moment, ganz für mich, wenn ich im Mercedes auf meinen Einsatz warte und nur die tickende Uhr höre“, sagt er. „Ich bin bestimmt schon 300 bis 400 Kilometer mit dem Auto gefahren – rückwärts.“ Wie es weitergeht in Staffel elf, dazu sagt Sigl nur: „Es wird wieder mehr um Familie gehen – und es gibt eine große Überraschung.“

Wenig zu überraschen scheint ihn meine lange Liste an Autogrammwünschen („Dann habe ich schon alle Weihnachtsgeschenke“, „Meine Oma wird mir ihr gesamtes Erbe überschreiben“) und ich bin froh, dass ich Hans Sigl noch frisch und unverbraucht vor den 1300 Fans umarmen kann. Denn am Nachmittag werden die Schauspieler „mit Liebe geduscht“, wie Forcher ihre Kollegin Natalie O’Hara (Film-Wirtin Susanne Dreiseitl) zitiert. Nachdem Forcher ein bisschen was zu ihrer Playboy-Nackedei-Aktion gesagt hat („Hats euch g’fallen?“, fragt sie die Fans), betreten unter Jubel nacheinander die anderen Schauspieler die Bühne, als letztes Hans Sigl, begleitet von je zwei Securities. Monika Baumgartner, Martins Mutter Lisbeth Gruber, stöhnt genervt auf: „Ich möchte für meine Söhne die richtigen Frauen. Es ist doch schrecklich für eine Mutter, wenn die dauernd ins Klo greifen.“ Hans Sigl widerspricht: „Martin ist ein sehr treuer Mann, es scheitert nur an den Damen.“ Privat hat er gerade den neunten Hochzeitstag mit seiner Frau Susanne gefeiert.

Und dann beginnt der schönste Teil: Die Fans dürfen Fragen stellen. Und Sigl wird zur Rampensau. Franziska fragt: „Warum hat der Martin Gruber immer das gleich G’wandl an? Kann der sich nichts Neues leisten?“ Antwort Sigl: „Hast Du mal in die Praxis geschaut? Eben, da ist nichts los. Da kann sich der Martin nichts anderes leisten.“ Ein Herr aus dem Sauerland fordert noch mehr Landschaftsaufnahmen. „Das besprechen wir, dann haben wir Schauspieler mehr frei“, sagt Sigl. Ein Fan fordert Bergdoktor-Bettwäsche. „Machen wir“, sagt Sigl, „und du kriegst noch einen Pyjama dazu.“ Einige Frauen sind extra aus Slowenien angereist und beten in gebrochenem Deutsch den Bergdoktor an. Jackie aus Florida fragt: „Do you need a nurse?“ (Brauchen sie eine Krankenschwester?) und Petra aus Aalen hat das Problem, dass Martin Gruber unangeschnallt Auto fährt (der Gurt des Mercedes ist kaputt) und am Steuer telefoniert. Torsten aus Hessen beschwert sich, dass seine Schwiegermutter einst in Bozen nicht von Sigl gegrüßt wurde. Was es auch ist: Der Bergdoktor macht, dass am Ende alle glücklich sind. Wie im Film.

So ist es auch auf dem „Gruberhof“, bei dessen Panorama mein Vater vor dem Fernseher jedes Mal der blanke Neid packt: „Das ist doch unverschämt, diese Aussicht!“ Gar nicht unverschämt sind dagegen die Besitzer des Köpfinghofes. Vor 40 Jahren kaufte das Ehepaar Aloisia und Peter Mayr den Hof, mittlerweile organisieren deren beiden Töchter und ihre Ehemänner die Dreharbeiten und Führungen. Die Familie verbringt jeden Tag auf dem Hof, nur zum Schlafen fahren sie ins Dorf. Denn neben den 200 Besuchern pro Tag wird der Hof nach wie vor noch von Josef Wohlschlager, einem der Ehemänner, bewirtschaftet. 15 Kühe mit Jungtieren wohnen dort, und Josef bietet mir an, auch einzuziehen. Der Antrag ist zu verlockend, allerdings hätte Josefs Frau sicher etwas dagegen. Und das Bad, das für die Dreharbeiten nur Attrappe ist, überzeugt mich dann auch nicht. Bei unserer Jause vor unverschämter Aussicht kommt schließlich auch noch Natalie O’Hara auf den Gruberhof. O’Hara zittert und sieht so erschöpft aus, als hätte sie gerade eine 48-Stunden-Schicht im Gasthof „Wilder Kaiser“ hinter sich. Vier Stunden lang hat sie Autogramme geschrieben – die Fans mussten sich der Farbe ihrer Einlassbändchen nach anstellen. „Wenn der 85-jährige Siggi Rauch da noch sitzt, kann ich ja schlecht aufhören“, sagt sie und braucht erst einmal eine Weinschorle und eine Zigarette. Nach den ganzen Fans muss sie jetzt auch noch die Journalisten treffen. Sie lächelt noch einmal – ein letztes Mal an diesem Tag – für Fotos, dann entspannt sie sich. Der Erfolg habe sie wie alle anderen Schauspieler überrascht,erklärt die 40-Jährige und schaut in den Sonnenuntergang. „Das Tal ist meine zweite Heimat“, sagt sie. Und: „Ich hätte vor zehn Jahren nie gedacht, dass wir hier sitzen.“ Ich auch nicht.