10.10.2019 Nach dem Anschlag von Halle: Solidaritätskundgebung vor der Esslinger Synagoge.

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Der Anschlag gegen eine Synagoge in Halle hat auch in Esslingen Betroffenheit ausgelöst. Um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus zu setzen, haben sich am Donnerstagabend Esslinger Bürgerinnen und Bürger vor der Synagoge im Heppächer versammelt.

EsslingenDer Anschlag in Halle erregt weltweit die Gemüter. In Esslingen und im Landkreis entwickelte sich schnell eine Solidaritätsbewegung. Gestern Abend trafen sich etwa 300 Menschen an der Esslinger Synagoge, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus zu setzen. Initiiert hatte das Treffen der Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Esslingen, Bernd Weißenborn.

„Der Anschlag in Halle geht nicht spurlos an uns vorbei“, sagt Barbara Traub, Sprecherin des Vorstands der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW). Angst spüre sie bei den Mitgliedern der Gemeinden in Esslingen und Stuttgart zwar nicht. „Aber besorgt sind sie natürlich schon, denn die Bedrohung ist jetzt eine Stufe höher.“ Bei dem Gespräch, das Barbara Traub am Tag nach dem Anschlag mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der IRGW geführt hat, sei deutlich geworden, „dass wir Ruhe bewahren und uns vor allem nicht abschrecken lassen werden“. Denn dann hätte der Täter sein Ziel erreicht. „Derartige Anschläge haben ja immer zwei Ziele“, sagt die Vorstandssprecherin. „Man will die Menschen direkt treffen. Und man will erreichen, dass sich die Gesellschaft entsolidarisiert und sich niemand mehr traut, jüdische Einrichtungen zu betreten.“ Und genau das dürfe nicht passieren. „Wir müssen gemeinsam gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus vorgehen.“

Dass der Esslinger Dekan Bernd Weißenborn am gestrigen Abend spontan zu einer Solidaritätsaktion vor der Esslinger Synagoge eingeladen hat, freut Barbara Traub. „Wir sind in Esslingen sehr gut miteinander vernetzt und werden wunderbar unterstützt.“ Das habe sich nicht nur bei der Spendenaktion für eine neue Thorarolle, sondern auch bei dem Jubiläumsprogramm zum 200-jährigen Bestehen der Esslinger Synagoge gezeigt, das in diesem Jahr gefeiert wird. „Auch mit Blick auf den Anschlag in Halle war es die richtige Entscheidung, das Jubiläum so groß und mit so vielen öffentlichen Veranstaltungen zu feiern“, erklärt Barbara Traub.

„Grenze ist überschritten“

So sieht es auch Wolfgang Drexler, der als Sprecher des Unterstützerkreises jüdische Kultur Esslingen tätig ist. „Solche Veranstaltungen, die das Gemeindeleben öffentlich machen, zeigen, dass die jüdische Gemeinde von Esslingen in der Mitte der Gesellschaft ist und zu uns gehört“, sagt Drexler. Er ist von dem Anschlag in Halle erschüttert. Er sieht ihn als Zeichen, dass sich das rechte Gedankengut in vielen Köpfen breit gemacht hat. „Ich war Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Wir haben immer davor gewarnt, wie gefährlich die rechte Szene geworden ist.“ Vor einigen Jahren sei lediglich gedacht worden, was heute an antisemitischem Inhalt ausgesprochen werde. „Und jetzt ist wieder eine Grenze überschritten worden“, sagt er. „Es ist das erste Mal, dass es seit 75 Jahren – seit der Ausrottung der jüdischen Kultur in Deutschland durch das Regime der Nationalsozialisten – wieder solch einen Angriff auf eine Synagoge gegeben hat. Was muss denn noch alles passieren, damit die Menschen endlich aufwachen?“ Nun sei es an der Zeit, dass die Menschen aufstehen und „den Rechten zeigen, dass sie nicht die Mehrheit sind“, so Drexler.

„Klar distanzieren“

„Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten schon einmal daran gedacht, dass es weitere Anschläge gegen Juden in Deutschland geben könnte oder eben antisemitische Gewalttaten,“, sagt der evangelische Dekan Bernd Weißenborn. „Aber man hofft ja immer, dass schlimme Dinge verhindert werden mögen.“ Was bislang schon passiert ist, habe Schlimmeres ahnen lassen.

„Ich glaube, wir müssen uns wacher zeigen rechtsextremistischen Kräften gegenüber.“ Bernd Weißenborn ist davon überzeugt, „dass wir uns klar von solchen Untaten und einer Gesinnung, die hinter diesen bösen Taten steht, distanzieren müssen.“ Antisemitismus und Rechtsradikalismus müsse klar widersprochen werden. „Da braucht es Abgrenzungen und das deutliche Wort und das Aufstehen aller gegen die Kräfte, die unser wunderbares Land kaputt machen wollen.“ Wichtig sei auch die kompromisslose Solidarität mit jüdischen Menschen und den jüdischen Gemeinden. „Sie müssen wissen, dass wir zusammenstehen und hinter ihnen stehen.“

Die Kirche stehe historisch betrachtet in einer „besonderen, sehr spannungsbeladenen und auch schuldbeladenen Geschichte mit dem Volk Israel, sprich mit den Juden unter uns“. Schon einmal habe die Kirche versäumt, nicht laut genug „für die Juden geschrien“ zu haben. Dies mahne und verpflichte, „uns mit großer Treue an der Seite unseren jüdischen Glaubensbrüder zu zeigen. Heilsgeschichtlich gesprochen gilt auch für Christen: Auch wir waren einmal Aramäer.“