Buntes Treiben auf dem Marktplatz, auf dem sich die lettischen Gäste versammelten. Dort sangen die Gruppen oder führten Tänze auf. Fotos: Dietrich Quelle: Unbekannt

Von Peter Dietrich

„Die Letten kommen!“ So rief es den Zuschauern des bunten und langen Festumzugs von der Südkirche zum Marktplatz immer wieder entgegen. Die Letten kamen lachend und singend in die Stadt - und sie wollen bis Sonntag bleiben und feiern. „Die Invasion von Letten aus aller Welt ist freudig und freundlich“, sagte die ehemalige lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga beim Auftakt der Feier „70 Jahre lettisches Sängerfest in Esslingen“.

Minutiös hatte der Lettische Kulturverein SAIME den Umzug und den Festauftakt auf dem Esslinger Marktplatz geplant: Der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler, der auch für seinen Sitznachbar, den Staatsekretär und CDU-Bundestagsabgeordneten Markus Grübel, sprach, und Bürgermeister Markus Raab hatten laut Plan jeweils zwei Minuten. Viele Beiträge waren mehrsprachig. Raab übersetzte sich selbst ins Englische, Vike-Freiberga sprach außer in Lettisch auch in Deutsch. Sie erinnerte an die Vertriebenen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs auch nach Esslingen kamen. „Sie hatten Heimat und Gut verloren. Sie hatten nur noch das, was sie in ihrem Herz und Kopf mitgebracht hatten.“ Sie dankte den Deutschen allgemein und den Esslingern speziell, dass sie die Letten bei sich aufgenommen haben.

„Ich habe das noch als kleiner Junge miterlebt“, sagte Drexler. Es habe in Esslingen etwa 7000 Letten gegeben und eine lettische Grundschule, ein lettisches Gymnasium, eine lettische Ingenieurschule, eine lettische Zeitung und eine lettische Apotheke. 1951 seien die meisten Letten in die USA, nach Australien, England und Kanada ausgereist. „Heute kehren die Letten wieder in unsere Straßen zurück.“ Drexler erinnerte daran, die lettische Revolution von 1990 sei „eine Revolution der Sängerinnen und Sänger“ gewesen. Wer die Gäste, die aus Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Luxemburg, Großbritannien, Irland, der Schweiz, aus Kanada und Australien, aus vielen deutschen Städten und natürlich aus Lettland angereist waren, singen hörte, glaubt das sofort. Das klang so, als ob jeder in mindestens einem guten Chor singt.

Angesichts der Bedeutung, die Esslingen für die Letten hat, wunderte sich Drexler, dass es noch keine Städtepartnerschaft gibt. Aber immerhin habe Esslingen eine Partnerschaft mit dem schwedischen Norrköping, und diese Stadt wiederum habe eine Partnerschaft mit der lettischen Hauptstadt Riga. Dieses Dreierverhältnis, schlug er vor, könne man ausbauen.

Bürgermeister Raab war von dem Fest vollauf begeistert. „Ich habe den Marktplatz in den letzten zehn Jahren nicht so schön gesehen, in Esslingen wurde auch noch nie so schön gesungen“, schwärmte er. Dass die Gäste 70 Jahre nach dem großen Sängerfest von 1947 nach Esslingen zurückgekehrt sind, zeige, dass sich ihre Hoffnungen von damals erfüllt hätten.

Auch Dace Melbarde, Kulturministerin der Republik Lettland, erinnerte in deutscher Sprache an die „singende Revolution“ von 1990. Sie habe nur so erfolgreich sein können, weil die Letten ihre Kultur - auch mit dem Sängerfest von 1947 in Esslingen - so gut bewahrt hätten.

Die Feier „70 Jahre lettisches Sängerfest in Esslingen“ geht heute und morgen weiter. Das Programm ist unter www.esslingen2017.de zu finden.

Empfang der Stadt für die Gäste mit Ehrung

Gestern Nachmittag empfing Bürgermeister Markus Raab eine lettische Delegation im Alten Rathaus. Die ehemalige lettische Staatspräsidentin Vaira Vīķe-Freiberga und die Kulturministerin Dace Melbārde trugen sich ins Goldene Buch der Stadt Esslingen ein.

Raab ehrte den Erzbischof emeritus der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche im Ausland, Elmārs Ernsts Rozītis, mit der Silbernen Münze der Stadt. „Als lettischer Esslinger sind Sie die Verkörperung der Freundschaft zwischen dem lettischen Volk und unserer Stadt“, sagte er zu Rozītis. „Sie haben viel getan für die Verständigung zwischen den Menschen.“ Auch Erzbischof Teodors Grīnbergs habe nach dem Zweiten Weltkrieg von Esslingen aus als Oberhaupt der Evangelischen Kirche Lettlands unermüdlich für ein gutes Miteinander von Letten und Esslingern gewirkt. „Ich freue mich, dass der Gemeinderat jüngst beschlossen hat, sein Grab auf dem hiesigen Pliensaufriedhof zu einem Ehrengrab zu erheben“, sagte Raab.

An dem Empfang nahmen auch Elita Kuzma, die Botschafterin der Republik Lettland in Deutschland, und Atis Sjanītis, Botschafter der im Ausland lebenden Letten, teil. Von deutscher Seite waren der Staatssekretär im Verteidigungsministerium und CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Grübel sowie der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler dabei.