11.01.2018 Demonstranten ziehen wegen der Feinstaubbelastung in Stuttgart auf die Straße

 Foto: Steegmüller

Stuttgart – Feinstaubalarm in der Landeshauptstadt. Eigentlich sollte der Verkehr am Neckartor seit diesem Jahr um 20 Prozent reduziert werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Land hält sich nicht an den vor Gericht vereinbarten Vergleich und verärgert damit die klagenden Anwohner. Sie fühlen sich durch den „Rechtsbruch“ vom Regierungspräsidium verhöhnt. Am Donnerstagabend sind sie deshalb auf die Straße gegangen.

Von Sebastian Steegmüller

Gleich zwei Demonstrationszüge machten sich am Donnerstag gegen 18.30 Uhr vom Neckartor auf zu einem Rundkurs über die B 14, die Heilmannstraße und das angrenzende Wohngebiet auf, um auf das Fehlverhalten der Landesregierung hinzuweisen. Durch die Sperrung der stadtauswärtigen Fahrspuren der B 14 kam es im Feierabendverkehr zu Behinderungen. Unter den Demonstranten war auch Peter Erben von der Bürgerinitiative Neckartor. Er hat den Glauben in den Rechtsstaat verloren. „Warum kriegt das Regierungspräsidium es nicht hin, sich an den Vergleich zu halten?“ Die Politik macht nicht das, wozu sie verpflichtet ist.“

Bereits im Jahr 2004 hatten die Anwohner das erste Mal geklagt und seither in drei weiteren Prozessen immer Recht bekommen. Trotz Maßnahmen wie Umweltzone, Lastwagen-Fahrverbot und Tempolimits wird der Feinstaub-Grenzwert am Neckartor seit 13 Jahren konstant gerissen. Im vergangenen Jahr hatte sich das Land daher vor dem Verwaltungsgericht dazu bereit erklärt, den Verkehr am Neckartor ab 2018 bei Feinstaubalarm um 20 Prozent zu reduzieren. „Wir haben dem Vergleich zugestimmt, weil wir davon ausgegangen sind, dass das Land daraufhin ein Konzept präsentiert“, sagt der Rechtsanwalt der Feinstaubkläger, Roland Kugler. An Alarmtagen ein Fünftel der 90 000 Autos, die täglich die Kreuzung am Neckartor passieren, einfach so auszusperren, sei für ihn nie Option gewesen. „Dann hätte der Kollaps in dem angrenzenden Wohngebiet gedroht.“

Statt ein Konzept vorzulegen, berief sich das Land auf das „Verschlechterungsverbot“: Jede punktuelle Verkehrsreduzierung führe zu höherer Belastung andernorts, daher sei der Vergleich nicht zulässig. Für Kugler eine absurde Begründung. Er wirft der Landesregierung „kalkulierten Rechtsbruch“ vor. Auch Wolfgang Kern, Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart, konnte den Argumenten des Landes im vergangenen Dezember nicht folgen. Wird der Verkehr bis Ende April nicht reduziert, droht gar ein Zwangsgeld in Höhe von 10 000 Euro, so sein Entschluss. Selbstverständlich ist das Land in Revision gegangen.

„Das Problem: Solch ein Zwangsgeld tut dem Land nicht wirklich weh“, sagt Kugler. Das wird mit wenigen Klicks am Computer gelöst.“ Zumal Strafzahlungen nur vom Etat des Verkehrs- ins Justizministerium umgebucht würden.

Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, bezeichnet die Vorgehensweise als „bizarres Gezerre“. „Der Staat lernt wie ein Krimineller alle möglichen Tricksereien. Richterliche Entscheidungen werden ignoriert. Zusagen kümmern das Land einen Dreck. Privatpersonen, die sich so verhalten, landen irgendwann im Gefängnis.“ Eben dies könnte auch einem Vertreter der Regierung drohen, so Kugler. Statt Zwangsgeldern will er eine Zwangshaft beantragen. Eine ungewöhnliche Maßnahme, die laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aber möglich sei. „Wen es letztlich treffen könnte, ist mir nicht klar.“ Die Vorgabe: Die Arbeit der Behörde dürfe nicht behindert werden. „Aber da besteht beim Regierungspräsidium in der Regel keine Gefahr.“

Den nächsten Dämpfer könnte das Land am 22. Februar erhalten. Dann beschäftigt sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit einem möglichen Fahrverbot. Bislang geht es nur um Düsseldorf, es ist aus Sicht von Resch jedoch wahrscheinlich, dass auch Stuttgart aufgerufen wird. Parallel dazu gehen die Anwohner noch einen anderen Weg. Sie demonstrieren vor Ort und legen damit den Verkehr am Neckartor auf einen Schlag um bis zu 50 Prozent lahm – bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr, weitere ähnliche Veranstaltungen sollen folgen, sagt Peter Erben. „Wir sind am Ende mit unserer Geduld.“