10.9.2017 EZ-Leser befragten die Bundestagskandidaten bei der EZ-Matinée.

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Von Claudia Bitzer

Nein, es sollte bitte keine so einschläfernde Veranstaltung werden wie das TV-Duell der Kanzlerin mit ihrem Herausforderer Martin Schulz: Das hat sich EZ-Chefredakteur Gerd Schneider von den sechs Kandidaten aus dem Wahlkreis Esslingen gewünscht, die die Eßlinger Zeitung am Sonntag in die Württembergische Landesbühne eingeladen hatte. Die etwa 300 Zuhörerinnen und Zuhörer erlebten dann zumindest im ersten Teil der zweistündigen Wahlmatinée eine lebhafte Runde, in der Schneider die Teilnehmer gerne etwas piekste.

Zum Beispiel Markus Grübel (CDU), nach 16 Jahren im Bundestag der Wortgewaltigste auf dem Feld. „Warum fällt einem beim Thema einschläfernder Wahlkampf immer der Name Merkel ein?“, wollte Schneider von dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium wissen. Der verwies auf die gespaltene Gesellschaft, den der US-Wahlkampf hinterlassen habe. Nicht der Schaueffekt, das Ergebnis sei wichtig, „auch wenn der Unterhaltungswert darunter leidet“.

„Gut oder nicht gut?“

Grünen-Kandidatin und Flüchtlingsexpertin Stephanie Reinhold konfrontierte Schneider mit dem Tübinger OB und Querdenker Boris Palmer und seinem neuen Buch über die Zuwanderung. „Gut oder nicht gut?“ hakte Schneider nach. „Ich finde ihn gut – wegen seiner grünen Politik in Tübingen“, antwortete die stellvertretende Bezirksvorsteherin für die Stuttgarter Bezirke Birkach und Plieningen diplomatisch. Vom FDP-Mann Sven Kobbelt wollte der EZ-Chefredakteur in Anspielung auf Kobbelts Wahlplakate („Warum nicht mal was Vernünftiges wählen?“) wissen, warum es denn unvernünftig sei, einen seiner Konkurrenten zu wählen. Kobbelt drechselte seinen Slogan in die Richtung, für „vernunftorientierte Lösungen“ zu stehen – zum Beispiel nicht für die „Stigmatisierung des Verbrennungsmotors“. Beim AfD-Kandidaten Stephan Köthe, der sich als „Schützer des Euros und der Grenzen“ sieht, zeigte sich Schneider von Köthes Aussage verblüfft, die Presse habe bei der AfD die größten Fürsprecher. Er frage sich schon, ob Köthe damit nicht alleine dastehe in seiner Partei. Doch das stritt der Informatiker flugs ab, er sei ja schließlich auch im Landesvorstand seiner Partei.

Als „Aufrechte und Idealisten“ wollten die Linken die Welt verändern, konfrontierte Schneider Martin Auerbach mit dem Anspruch seiner Partei. „Aber braucht die Politik nicht vielmehr Realisten als Idealisten?“ Nichts da, entgegnete Auerbach: Die Welt benötige Idealisten, die nicht auf Spenden aus der Wirtschaft angewiesen seien. „Wir sind nicht käuflich.“

Richtig lebendig wurde es dann, als Schneider die SPD-Kandidatin Regina Rapp mit der Frage konfrontierte, wie denn Martin Schulz der Kanzlerin den Job und sie Markus Grübel das Direktmandat abjagen wolle. Während Grübel das von Rapp gepriesene Schlusswort des SPD-Spitzenkandidaten als abgelesenes Statement abkanzelte, konterte die nur kühl: „An das Schlusswort von Frau Merkel kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“

Eine EZ-Leserin wollte von Stephanie Reinhold wissen, warum sich die Grünen mit der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer so schwertun. „Die Einstufung ist noch keine Rückführungsgarantie. Die Zahl der Menschen, die wir in die Maghreb-Staaten zurückführen können, ist sehr gering“, so Reinhold. „Wir wollen ja ein Einwanderungsgesetz.“ „Wir müssen Asyl und Einwanderung trennen“, plädierte auch Regina Rapp für eine „geordnete Migrationspolitik ohne Vernachlässigung unserer humanitären Pflichten.“ Kobbelt monierte, dass sich die CDU aber mit Händen und Füßen gegen ein Einwanderungsgesetz sträube.

Grübel wollte das so nicht stehen lassen. Schon heute könnten Menschen mit bestimmten Berufen und guten Sprachkenntnissen legal zuwandern. Reinhold: „Aber wir wollen diesen Kreis erweitern und nicht nur auf wenige Berufe begrenzen.“ Die Einschätzung des AfD-Manns Köthe, man müsse die Grenzen schützen, sonst könne man das soziale Niveau nicht mehr halten, war für Reinhold „Angstmache“. „Die Flüchtlinge wollen arbeiten und ihren Beitrag leisten“, hat Martin Auerbach auch in seinem Beruf als Jugend- und Heimerzieher erfahren.

Es fehlt am Bauland

Dass die Kommunen auch unabhängig von der Anschlussunterbringung dringend gefragt sind, ihren Bürgerinnen und Bürgern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, war für alle sechs Kandidaten klar. Auerbach plädierte nicht nur für mehr öffentlich geförderten Wohnraum, sondern auch dafür, mit älteren Menschen in großen Wohnungen das Gespräch zu suchen und ihnen Angebote für kleinere Wohnungen zu machen. Köthe hält nichts von der Mietpreisbremse, die Regina Rapp noch weiter schärfen will, und will stattdessen zinslose Kredite für Familien zur Eigentumsbildung. Reinhold plädiert für mehr Wohngeld, sieht das Hauptproblem aber ebenso wie Grübel in fehlenden Bauflächen im Ballungsraum.

In einer Region, in der Feinstaubmeldungen zur Tagesordnung gehören, will Grübel trotzdem keine Fahrverbote, wohl aber „einen ganzen Strauß von Maßnahmen“, wobei die E-Mobilität noch nicht die Lösung für alles sei. „Es wird auch neue Konzepte geben müssen“, sagt auch Reinhold. „In Forschung und Entwicklung muss aber mehr investiert werden“, so SPD-Kandidatin Regina Rapp. „800 000 Arbeitsplätze hängen am Auto, die sind mir wichtig.“