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Schloss Waldenbuch: Damit keiner durch die Lappen geht

Herrschaftliches Jagdschloss, Militärdepot, Lazarett, Mietskaserne, Flüchtlingsunterkunft und heute Heimat des Museums für Alltagskultur: Das Schloss Waldenbuch hat schon einiges erlebt. Foto: arc

Schloss Waldenbuch: Damit keiner durch die Lappen geht

Herrschaftliches Jagdschloss, Militärdepot, Lazarett, Mietskaserne, Flüchtlingsunterkunft und heute Heimat des Museums für Alltagskultur - Rückblick auf eine lange Geschichte

Christian Günther

Christian Günther

Was hat das Schloss Waldenbuch nicht schon alles gesehen? Waldenbuch war seit dem 15. Jahrhundert Sitz des Waldvogts über den Schönbuch, dem großen Waldgebiet zwischen Tübingen und Stuttgart. Dienstsitz war zunächst eine Burg aus der Zeit der Staufer. Unter Herzog Christoph von Württemberg (1550-1568) begann eine rund 150 Jahre währende Zeit der Um- und Neubauten. 1719 war das Schloss so fertig gestellt, wie es sich heute zumindest äußerlich darstellt.

1807 kam der Sitz der oberen Forstverwaltung nach Bebenhausen und Waldenbuch verlor zunehmend an Bedeutung. In der Folge kamen zahlreiche andere Nutzungen ins Schloss wie Militärdepot, Wohnungen und Handwerksbetriebe. Dadurch ging viel von der Originalsubstanz verloren. Heute ist das ehemals herrschaftliche Jagdschloss in der noch mittelalterlichen Pfeilerhalle im Erdgeschoss, der Wendeltreppe, und besonders in dem Sichtfachwerk und den Trophäenmalereien im 1. Obergeschoss erkennbar.

Im 20. Jahrhundert war das Schloss ein großes Mehrparteienwohnhaus. Zudem befanden sich darin ein Klassenzimmer und der Kindergarten. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Dachstock ausgebaut, um dort Unterkünfte für Flüchtlinge einzurichten. Dies ist an den Dachgauben zu erkennen, die eigens 1947 errichtet wurden, um diese Wohnungen mit Licht zu versorgen. Auch der Turm, der über das Dach hinausragt, ist ein Bauwerk der 50er Jahre.

1978 begann der Umbau zum Staatlichen Museum, 1989 wurde es als „Museum für Volkskultur, Außenstelle des Württembergischen Landesmuseum Stuttgart“ eröffnet. 2009, genau 20 Jahre danach, wurde es in „Museum der Alltagskultur“ umbenannt.

Im Fokus des Museums der Alltagskultur stehen das Leben und die Erfahrungen ganz gewöhnlicher Menschen früher und heute. Hands-on-Objekte sowie Medienstationen ergänzen die klar umrissenen Themenräume. Die aktuelle Ausstellung „We are family“ ist noch bis April 2025 zu sehen ist. Hier wird die Vielfalt familiären Zusammenlebens in den Blick genommen. Wer Lust hat, kann Familienerinnerungen teilen oder Familienrezepte hinterlassen.

Was hat unser Alltag heute mit dem Alltagsleben von „damals“ zu tun? Die „Zeit-Sprünge“ in der Säulenhalle des Schlosses schärfen den Blick für den Gang durchs ganze Haus. Zwanzig Objekte aus der volkskundlichen Sammlung wurden in spannenden Installationen mit Dingen und Phänomenen von heute konfrontiert: Die Viagra-Pille als Weiterentwicklung des „Röhrenden Hirsches“, das Internet als das „fließende Wasser“ von heute oder die teure Designerjeans im used-look neben dem mehrfach geflickten Betttuch.

Die einzelnen Stationen der Ausstellung laden zum Raten, Mitmachen und Nachdenken ein. Hier kann man zwischen den Zeiten springen, sich von der Vergangenheit überraschen lassen und staunen. Wie wohnen Menschen und was brauchen sie, um sich dabei wohl zu fühlen? Wie lebte es sich mit Holzofen, Neckermann-Katalog oder Röhrenfernseher? Die Zeitreise startet im ländlichen Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts und endet in der Jugendkultur der 1970er.

Im Jahr 1719 . . . war das Schloss so fertig gestellt, wie es sich heute zumindest äußerlich darstellt.

Aber ganz will sich das Museum seiner Jagdhistorie nicht entziehen: Der Bereich „Hirsche, Fürsten, Waldgeschichten“ wird geziert von Reh- und Hirschgeweihen, Baumstämmen und Jagdgeräten. Hier taucht man in die Atmosphäre vergangener Jahrhunderte ein, in denen Schloss Waldenbuch noch Zentrum der herzoglichen Wälder und Jagden war. Ausgestellt ist unter anderem ein „Jagdlappen“ aus dem Jahre 1700. Bei Treibjagden grenzten früher Netze oder Stofflappen die Reviere ein. Kein Tier sollte „durch die Lappen gehen“, ein Sprichwort, das wir heute noch benutzen. Die Jagdhunde trugen mit Stacheln versehene Halsbänder, die Schutz vor den Angriffen der Wildtiere boten. Ein Frevel war die Wilderei! Für die Frevler und Wilderer wurden um 1820 im Schloss Waldenbuch Gefängnisräume eingerichtet. Sie befanden sich im Untergeschoss des heutigen Treppenhauses. Die originale Gefängnistür ist in der Ausstellung zu sehen.

https://www.museum-der-alltagskultur.de/

GUT ZU WISSEN

Sommerliche Events

Noch bis zum 8. September ist der malerische Schlosshof in Waldenbuch wieder Schauplatz von sommerlichen Open-Air-Events, zu denen das Museum der Alltagskultur in Kooperation mit verschiedenen Partnern einlädt. Aktuelle Termine unter museum-der-alltagskultur.de/besuch/veranstaltungen-fuehrungen.

Am 11. August gibt ARTango ein Sundowner-Konzert. Das Finale zu „Sommer im Hof“ wird am 8. September, dem Tag des Offenen Denkmals, begangen.

Auch außerhalb der Veranstaltungen verspricht ein Aufenthalt im Schlosshof in diesem Sommer wieder Erholung und Genuss: In Kooperation mit dem jungen Team von Studio3 aus Stuttgart lässt das Museum der Alltagskultur im Hof eine grüne Wohlfühloase mit Sitzbänken und Schattenspendern entstehen.

Die Besucher sind eingeladen, ein kühles Getränk oder Eis aus dem Museumsshop zu genießen. Outdoor-Spiele runden das Angebot ab und laden nicht nur Kinder zum gemeinsamen Spielen ein.