Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Marlene Streeruwitz gehört zu den profiliertesten Autorinnen unserer Zeit. Ihre Texte sind prägnant, ihre Haltung ist eindeutig, und sie sagt stets, was sie denkt. Damit hat sie sich nicht nur großes Ansehen erworben, sondern auch einiges bewegt - vor allem für die Sache der Frauen, für die sie sich ebenso konsequent wie überzeugend einsetzt. Wenn die österreichische Schriftstellerin und Regisseurin ihr Leben Revue passieren lässt, hätte sie viel zu erzählen. Andere würden ihre Autobiografie schreiben - Marlene Streeruwitz schrieb lieber einen „Abenteuerroman in 37 Folgen“. „Yseut“ heißt er, und er erzählt von einer Frau, die mit einer geladenen Pistole in der Handtasche in ihr altes Sehnsuchtsland Italien reist. Dort will sie den Spuren ihrer Vergangenheit folgen und ihren Blick für die Zukunft öffnen. Unterwegs wird sich nicht nur die Protagonistin über manches klar - auch der Leser erfährt in diesem wunderbaren Buch einiges über das Leben im Allgemeinen und über die Liebe im Besonderen.

Über sich selbst mag Marlene Streeruwitz keine großen Worte verlieren - für ihre Zurückhaltung in biografischen Dingen hatte sie im angeregten LesART-Gespräch mit dem Literaturkritiker Gerwig Epkes ein überzeugendes Argument parat: „Es geht um die Texte - über mich muss man nichts wissen. Wer meine Bücher liest, wird schon irgendetwas herausfinden. Jeder auf seine Art.“ Deshalb sollte man bei der Lektüre ihres neuen Romans „Yseut“ (S. Fischer Verlag, 25 Euro) gar nicht erst nach Parallelen zwischen der Autorin und ihrer Protagonistin forschen, der der Roman seinen Titel verdankt - auch wenn die Autorin die Innenperspektive einnimmt und durch ihren Stil ein Gefühl intimer Nähe zu ihrer Titelheldin entstehen lässt. Marlene Streeruwitz’ jüngstes Buch darf man getrost in die Reihe „feministischer Forschungsvorhaben“ stellen, von denen die Autorin mit Blick auch auf ihre früheren Romane gerne spricht.

Yseut ist die altfranzösische Form von Isolde, zuweilen nennt sich die Protagonistin auch nach ihrem zweiten Vornamen Isabella - oder besser: Ysabelle. Beide stehen für historische Frauengestalten, die stets dem Weg der Liebe gefolgt waren. So war das auch bei Yseut: Sie war verheiratet mit Eduard, von dem es im Buch heißt: „Yseut fühlte sich heilig und rein, wenn sie ihn liebte. Sie fühlte sich auserwählt und schwebend.“ Doch irgendwann war die große Liebe dahin. Und Eduard sollte nicht der einzige Mann in ihrem Leben bleiben, der ihr Enttäuschungen bereitete. Nun steht sie vor der Frage, ob sie weiterhin ihrem Namen gerecht werden und eine neue Liebe wagen soll oder ob es nicht an der Zeit ist, ihr Leben in ruhigere Bahnen zu lenken und die bequeme Sicherheit, in der sie sich mittlerweile ganz gut eingerichtet hat, dem Reiz, aber auch den Risiken einer neuen Liebe vorzuziehen?

Wer wie Yseut vor existenziellen Entscheidungen steht, tut manchmal gut daran, anderswo den Blick für Neues zu weiten. Streeruwitz’ Protagonistin muss nicht lange überlegen, wohin es sie zieht: Italien ist für sie mit vielen Erinnerungen verbunden, das Land weckt ihre Sehnsucht. So macht sie sich auf den Weg ins Po-Delta, wo sie erkennen muss, dass der Süden viel von seinem Zauber eingebüßt hat. Europa ist nicht mehr dasselbe, das sie von früheren Italienreisen zu kennen glaubte. Die Verwerfungen sind offenkundig, überall begegnen Yseut Einschränkungen und Überwachung. Selbst gegen den Schlägertrupp einer Separatistenbewegung muss sie sich behaupten. Doch Yseut hat genug von Herabwürdigung und Respektlosigkeit. Sie will sich nicht mehr herumschubsen lassen, und die Pistole in ihrer Tasche gibt ihr ein gutes Gefühl.

37 Folgen hat das, was Marlene Streeruwitz einen Abenteuerroman nennt. Tatsächlich erlebt die Titelheldin auf ihrer Reise viel. Sie gerät in skurrile Situationen und begegnet den unglaublichsten Menschen: Eine alte Aristokratin zeigt ihre widerständige Seite, ein charmanter Mafioso baggert sie ungeniert an, ein ehemaliger US-Offizier bringt Yseut in Gefahr. Und auch wenn sie oft nicht weiß, wie ihr geschieht, stellt sie sich unverdrossen den überraschenden Herausforderungen - und immer wieder reflektiert sie über ihr bisheriges Leben und über die Zukunft.

Beherzt für die Sache der Frauen

Es war ein Vergnügen, der Autorin zuzuhören, wie sie im Kutschersaal aus ihrem Roman las - und wie sie im munteren Dialog mit Moderator Gerwig Epkes einzelne Aspekte der Geschichte genauer beleuchtete. Eine wohltuend aufgeräumte Marlene Streeruwitz bescherte dem Esslinger Publikum einen ebenso unterhaltsamen wie erkenntnisreichen Abend. Denn „Yseut“ ist mehr als nur die Geschichte einer einzelnen Frau, die viel erlebt und auch erlitten hat. Es ist die Geschichte einer ganzen Generation von Frauen, die sich neu erfinden mussten - und konnten. „Ich wollte zeigen, woher alles kam, welchen Weg es genommen hat und wie großartig sich vieles für heutige Frauen entwickelt hat“, sagt Marlene Streeruwitz. Dass vieles heute möglich oder sogar selbstverständlich geworden ist, liegt auch an dieser außergewöhnlichen Autorin, die durch ihr aufrechtes und beherztes Eintreten für die Sache der Frauen viele Wege geebnet hat.