Katja Lange-Müller ist ein gern gesehener LesART-Gast. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

Locker, gut gelaunt und mit schnodderigem Berliner Humor stand die Schriftstellerin Katja Lange-Müller beim LesART-Literaturfestival Rede und Antwort, als sie ihr neues Buch „Drehtür“ (Kiepenheuer & Witsch, 19 Euro) vorstellte. Sie erzählte tiefgründig, gescheit und offen aus ihrem Leben, erläuterte ihre Arbeitsweise, sprach anregend über die Gemeinsamkeiten mit ihrer Protagonistin Asta und über das Wie und Warum dieses Episoden-Romans, und sie las ein Kapitel daraus vor, das beim Publikum im ausverkauften Kutschersaal Appetit auf mehr machte.

Die Kollegen haben Asta ein One-Way-Ticket in die Heimat geschenkt, denn sie ist nicht länger tragbar. Nach 22 Jahren im Dienst internationaler Hilfsorganisationen schleichen sich immer häufiger Fehler in die Arbeit der Krankenschwester ein. Jetzt ist sie am Münchner Flughafen gestrandet. Kettenrauchend und gedankenverloren steht sie an einer Drehtür im Niemandsland des Terminals und weiß nicht, was sie will, was sie braucht und wie es nun weitergehen soll. Ihr ganzes Leben lang hat sie anderen geholfen, sich selbst weiß sie nicht zu helfen. Die Leute um sie herum erinnern sie an Menschen, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet ist. Déjà-Vu. Und so erzählt Asta um ihr Leben herum. Immer wieder unterbrochen durch eine strenge innere Stimme, rügend, warnend und ermahnend.

Neun Jahre sind vergangen, seit Katja Lange-Müller ihr letztes Buch, „Böse Schafe“, veröffentlicht hat. Studien- und Stipendien-Aufenthalte, die Frankfurter Poetik-Dozentur und „allerhand anderes“ unterbrachen die Arbeit am neuen Buch immer wieder: „Beim Schreiben verdient man ja kein Geld, da muss man wie der Igel im Winter von der Speckschwarte leben, von Mineralwasser und Dosenlinsen“, verriet die Autorin lachend im Gespräch mit Moderatorin Julia Schröder: „Ich bin nun wahrlich keine Turbo-Schreiberin. Ich will und ich kann nicht so schnell sein.“ Als langsame und penible Arbeiterin warte sie immer, dass der eine Satz ganz fertig sei, bevor sie den nächsten anfangen könne: „Ich könnte mein ganzes Leben an einer einzigen Erzählung schreiben.“

„Drehtür“ ist ein Reigen von Geschichten. Wie in einem Kaleidoskop scheint immer wieder ein anderes Erlebnis aus Astas Leben auf. „Die Episode liegt mir mehr als der große Roman, die Erzählung halte ich für die Perle der Prosakunst“, gestand die Schriftstellerin. Diese Asta hat durchaus Ähnlichkeiten mit Katja Lange-Müller: Die Ost-Vergangenheit (Lange-Müller ist in Ost-Berlin aufgewachsen und erst 1984 nach West-Berlin übergesiedelt), die Nikotinsucht („Ich hatte mir beim Schreiben das Rauchen abgewöhnt, jetzt auf Lesereise aber wieder angefangen, aber auch Rückfälle sind ja nur Vorfälle“) und der Pflegeberuf: Katja Lange-Müller hat einige Jahre als Pflegerin in der Psychiatrie gearbeitet.

Die Autorin weiß, wovon sie spricht, wenn es in „Drehtür“ ums Helfen, seine Motive und seine Risiken geht. „Helfen ist anstrengender als man glaubt. Da gibt es viele Fallen. Ärmel hochkrempeln und zupacken reicht fürs Erste, aber eben nur fürs Erste“, unterstreicht die Schriftstellerin. Dass oft falsch geholfen werde, illustriert sie mit einem Sprichwort: „‚Lass’ dir aus dem Wasser helfen, sonst wirst du noch ertrinken‘, sagte der freundliche Affe zum Fisch und setzte ihn in einen Baum.“ Mit dem Wunsch, gebraucht zu werden, gehe oft das Gefühl einher, nichts wert zu sein, wenn man nicht helfen oder retten kann. Manche helfen, um sich von der eigenen Frustration abzulenken: Ach, im Vergleich zum Patienten geht es mir ja noch gut. Wer sich in einen Hilfsbedürftigen verliebe, erwarte Dankbarkeit, schaffe jedoch eine klare Hierarchie, denn der Helfende sei immer der Überlegene. Und manchem sei einfach nicht zu helfen „Ob ich mein eigenes Helfer-Syndrom mittlerweile losgeworden bin?“, fragt sie selbst und gibt auch gleich die Antwort: „Ich glaube nicht.“