Christine Wanner, Hans Ulrich und Traute Scheuffelen (von links) möchten, dass das Papiertheater nach der Restaurierung im Museum zu sehen ist. Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Kritiker adeln ihn gern als „Epiker unter den Beschreibungskünstlern“, und wer Martin Mosebachs Bücher zur Hand nimmt, wird rasch feststellen, dass er sich diesen Ehrentitel redlich verdient hat. Der Autor beobachtet aufmerksam, nimmt kleinste Details wahr und beschreibt die Welt in opulenten Formulierungen. „Hyperrealistisch“ nennen manche seinen Stil, und es fällt schwer, sich der Eindringlichkeit seiner Schilderungen zu entziehen. Vor allem dann, wenn er - wie jüngst im Kutschersaal der Esslinger Stadtbücherei - selbst aus seinen Büchern liest: Jede Betonung sitzt präzise, jede Silbe kommt auf den Punkt, jede Formulierung lässt sich der Büchner-Preisträger auf der Zunge zergehen.

Tiefgründiges Gespräch

Als „Nachlese“ zu den Esslinger Literaturtagen hat Mosebach seinen Roman „Mogador“ im tiefgründigen Gespräch mit Martin Mezger präsentiert. Der Feuilleton-Chef unserer Zeitung hat den Autor als jemanden kennengelernt, der „mit einer gewissen Rastlosigkeit permanent auf Reisen ist“. Und der Autor macht keinen Hehl daraus, wie reizvoll er es findet, in einer Zeit zu leben, die uns die Möglichkeit bietet, nur wenige Flugstunden entfernt in eine Welt einzutauchen, wie man sie hierzulande vor hundert Jahren kannte: „Es ist faszinierend, dass immer noch Zeitreisen möglich sind.“ Was es heißt, in eine andere Welt einzutauchen, erfährt auch jener Patrick Elff, dessen Geschichte „Mogador“ (Rowohlt Verlag, 22.95 Euro) erzählt: Er ist promovierter Geisteswissenschaftler, hat als Investmentbanker Karriere gemacht. Doch wie es in dieser Branche zuweilen vorkommen soll, gerät Patrick auf Abwege: Er wird auf krumme Geschäfte aufmerksam, behält den Schwindel für sich und macht sich damit schuldig. Als ihm die Polizei auf die Schliche kommt, muss er sich aus dem Staub machen. Zurück bleibt seine ahnungslose Frau Pilar, mit der ihn nur noch der Trauschein verbindet. Patricks Reise endet in einer kleinen Hafenstadt in Marokko. Dort will er untertauchen, bis sich der Sturm gelegt hat - und bis sich vielleicht ein Ausweg für ihn auftut. Denn da gibt es einen einflussreichen Geschäftsmann, der ihm seit einer windigen Transaktion einen Gefallen schuldig ist - vielleicht der letzte Strohhalm für Patrick. Unterschlupf findet er im Haus der mysteriösen Khadija - einem Universum im Kleinen, das bevölkert wird von sonderbaren Gestalten. Khadija ist Gastgeberin und Bordellbetreiberin, Kupplerin und Geldverleiherin, Zauberin und Prophetin zugleich. Und Patrick muss über seine eigenen Grenzen hinweggehen und erkennen, wer er wirklich ist und welche Charakterzüge in ihm schlummern ...

Es ist „die imaginative Kraft von Mosebachs Prosa“, die Martin Mezger an diesem Autor fasziniert. Der Weg, den Mosebach jenen Patrick Elff gehen lässt, wird zum Weg der (Selbst-)Erkenntnis. Die Begegnung mit jener fremden Welt, in der das Mystische allgegenwärtig zu sein scheint, hilft dem gestrauchelten Banker, zu sich selbst zu finden - und das Verhältnis zu seiner Frau, mit der ihn nichts mehr verband, neu zu definieren. „Solange er bei ihr war, fühlte er sich ständig von ihr unter Druck gesetzt“, verriet Mosebach dem Esslinger Publikum. „Erst in der Erinnerung erkennt er die verletzliche Seite ihrer Persönlichkeit.“

„Grandioser Stilist“

„Mogador“ ist ein Roman, der verschiedene Genres verbindet: Er bietet Elemente einer Kriminalgeschichte, er ist ein Stück weit Reiseroman, er konfrontiert den rational denkenden Protagonisten mit dem Unerklärlichen und er hat viel von einem Entwicklungsroman, wobei Patrick Elffs Entwicklung nicht nur ihre positiven Seiten hat. „Er entdeckt auch seine Fähigkeit zum Bösen“, verriet der Autor seinem Esslinger Publikum. Martin Mosebach entführt seine Leserinnen und Leser in eine faszinierende Welt - wobei die Konfrontation mit dem Fremden, Unergründlichen und Undurchschaubaren nicht nur wohlige Gefühle weckt. Doch vielleicht sind es gerade solche Momente, die uns erkennen lassen, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir uns in unserem ach so aufgeklärten und rational geprägten Alltag träumen lassen. Und man könnte zu dem Eindruck kommen, dass der Autor, den Mezger als „grandiosen Stilisten“ charakterisiert, nicht nur am Schicksal von Patrick Elff interessiert ist, sondern auch daran, die Leser an ihre Grenzen zu führen - und manchmal darüber hinaus.