Seyran Ate ş erhebt ihre Stimme gegen fundamentalistische Tendenzen. Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Es gab eine Zeit, da war Seyran Ates überzeugt, dass ihre Einstellung zur Religion ihre Privatsache sei. Doch das hat sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gründlich geändert. „Liberale Muslime dürfen sich nicht abwenden“, findet die Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und Autorin. „Sie müssen dem Terror im Namen des Islam etwas entgegensetzen.“ Weil ihr in Deutschland keine einzige Moschee begegnet ist, in der sie sich als Frau gleichberechtigt fühlen durfte, hat sie die Sache selbst angepackt und in Berlin die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee gegründet, in der Frauen und Männer, Sunniten, Schiiten und Aleviten im Geiste eines säkularen liberalen Islam gemeinsam beten dürfen. Das hat ihr viel Ärger eingebracht - mehr als 100 Morddrohungen musste sie über sich ergehen lassen. Doch Seyran Ates kämpft weiter, denn sie ist überzeugt: „Man darf nicht nur schimpfen auf die muslimischen Verbände in Deutschland, man muss selbst etwas tun.“

Seyran Ates ist eine mutige Frau. Klug, überzeugt von ihren Anliegen, überzeugend in ihrer Argumentation und bei alledem sehr beharrlich, setzt sie sich für das ein, was ihr in unserer Gesellschaft wichtig ist. So war das schon in den 80er-Jahren, als sie in einer Beratungsstelle für kurdische und türkische Migrantinnen arbeitete. Da musste sie erleben, dass sie mit ihrer Arbeit nicht nur herbe Kritik, sondern bisweilen blanken Hass herausfordert: Während einer Beratung wurde eine der Klientinnen von einem Mann erschossen, Ates wurde lebensgefährlich verletzt. Viele hätten resigniert - sie kämpfte weiter. Dass sie wegen ihres Engagements für einen liberalen Islam unter Polizeischutz steht, ist für Ates ein Argument mehr, vor Intoleranz und Gewalt nicht zurückzuweichen. Dann hätten diejenigen, die Liberalität gegenüber ihrer Gesinnung einfordern und selbst am wenigsten Toleranz zeigen, ihr fragwürdiges Ziel erreicht. „Gerade in Zeiten des Terrors und angesichts der gegenwärtigen Entwicklung in der Türkei braucht es eine Gegenbewegung zu fundamentalistischen Strömungen“, findet Ates. Die von ihr gegründete Ibn-Rushd-Goethe-Moschee soll „ein Ort sein, an dem wir für einen friedlichen und demokratiebewussten Islam eintreten“. Was es heißt, mitten in der deutschen Hauptstadt eine liberale Moschee zu gründen, beschreibt sie in ihrem neuen Buch „Selam, Frau Imamin“ (Ullstein-Verlag, 20 Euro), das sie nun bei der LesART vorstellt.

Engagement zeigt bereits Wirkung

Seyran Ates ist eine gläubige Frau, und genau deshalb ist es ihr auch so wichtig, für einen liberalen Islam einzutreten. Sie argumentiert auf der Grundlage ihres Glaubens, aber auch politisch sehr bewusst. Und ihre Diagnose ist eindeutig: „In Deutschland herrscht der türkische Staatsislam. Die meisten aktiven Imame haben ein gestörtes Verhältnis zur Religionsfreiheit, zur Gleichberechtigung und zum Recht auf Homosexualität. Sie predigen einen Islam von vorgestern - mit der Folge, dass liberale Muslime bei uns heimatlos geworden sind.“ Das möchte Seyran Ates ändern. Und wer in ihrem Buch nachliest, mit welcher Überzeugung sie ihr Anliegen verfolgt und welch positive Resonanz sie bei vielen findet, die ähnlich denken wie sie, der legt dieses eindrucksvolle Buch nach der Lektüre auch in der begründeten Hoffnung aus der Hand, dass es gelingen könnte, ein internationales Netzwerk von liberalen Muslimen aufzubauen. Menschen wie Seyran Ates sei Dank.