„Das wird ein gelungenes Festival“: OB Jürgen Zieger (links) und EZ-Chefredakteur Gerd Schneider erwarten einiges von der LesART. Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

Mehr als zwei Jahrzehnte ließen die Esslinger Literaturtage LesART zum Erfolgsmodell werden. Dass sich das Festival nicht nur in Esslingen, sondern auch weit darüber hinaus etabliert hat, ist nicht zuletzt Ergebnis einer gelungenen Partnerschaft: Stadtbücherei und Eßlinger Zeitung veranstalten die LesART gemeinsam - und ihre Zusammenarbeit hat sich bewährt, wie OB Jürgen Zieger und EZ-Chefredakteur Gerd Schneider betonen.

Die Esslinger Kulturszene ist ebenso facettenreich wie lebendig. Welche Rolle spielen die Literaturtage in diesem vielstimmigen Konzert?

Zieger: Wir sind stolz auf unsere Kulturszene insgesamt, aber die LesART hat sich zweifellos als eine Premiummarke etabliert. Das lässt sich allein an den Autoren, die wir jedes Jahr präsentieren, festmachen. Das Festival hat ein ganz klares, unverwechselbares Profil, das ganz erheblich zu seinem guten Ruf beiträgt. Es ist kein Zufall, dass es immer wieder gelingt, viele prominente Autoren für einen Auftritt bei der LesART zu begeistern.

Schneider: Der Erfolg ist alles andere als selbstverständlich. Stuttgart gilt als eine der Kulturhauptstädte Deutschlands. Dass es gelungen ist, in direkter Nachbarschaft ein Literaturfestival dieser Qualität und Vielfalt und mit diesem ganz eigenständigen Charakter zu etablieren, ist etwas Besonderes. Darum darf uns die Landeshauptstadt beneiden.

Lesungen waren groß in Mode, zuletzt ist der Hype etwas abgeflaut. Die LesART funktioniert trotzdem. Wie erklären Sie sich das?

Schneider: Entscheidend ist für mich, dass Esslingen ein ausgesprochen literaturaffines Publikum besitzt. Das spüren auch die Autoren, die gerne hierher kommen, weil sie bei uns den richtigen Resonanzraum für ihre neuen Bücher finden.

Zieger: Gerade angesichts des rasanten Wandels in unserer Gesellschaft spüre ich ein wachsendes Bedürfnis, sich intensiver mit den wesentlichen Fragen unserer Gegenwart auseinanderzusetzen. Viele haben ein feines Gespür dafür, dass uns die wohlfeilen populären Erklärungen, die uns manche servieren, nicht weiterbringen. Wer den Dingen gerne auf den Grund geht und sich auf die Gedanken anderer einlassen möchte, findet hier das ideale Format. Und ein bisschen ist es sicher auch der Lohn der Mühe: Die LesART hat sich in 21 Jahren einen vorzüglichen Ruf erarbeitet, auf dem sie nun aufbauen kann.

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Stadtbücherei und eine Tageszeitung solch ein Festival gemeinsam veranstalten. Trägt das auch zum Erfolg der LesART bei?

Zieger: Wer in dieser Zeit durch die Stadt geht, spürt eine ganz besondere Stimmung. Dieses Literaturtage-Flair wirkt inspirierend. Jeder will dabei sein, und selbst diejenigen, die nicht zu den Lesungen kommen können, fühlen sich durch die engagierte und fundierte mediale Begleitung der Eßlinger Zeitung ins Geschehen einbezogen.

Schneider: Ganz einfach gesprochen geht es auch bei den Literaturtagen um die Grundtechnik des Lesens, die es zu pflegen gilt. Da sitzen Büchereien und Tageszeitungen im selben Boot. Wir wollen uns nicht anmaßen, mit unserer Arbeit hohe literarische Ansprüche zu bedienen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass Menschen, die sich literarisch interessieren, potenzielle Zeitungsleser sind. Wer liest, interessiert sich für die Welt. Er will informiert sein, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und gerne auch Farbe bekennen. Dass es möglichst viele Menschen gibt, die so denken, muss in unser aller Interesse liegen. Und dass die LesART dazu beiträgt, den Diskurs zu beflügeln, zeichnet sie aus. Deshalb ist es für die Eßlinger Zeitung selbstverständlich, dass sie auch weiterhin mit Herzblut dabei ist.

Sprechen Sie vor allem das literaturinteressierte Publikum an oder lassen sich mit dem Festival auch neue Leserkreise erschließen?

Zieger: Es ist gar keine Frage, dass die LesART auch über das Festival hinaus zum Lesen anregt. Wir wollen Lust aufs Lesen machen - und zwar über die Generationen hinweg. Wenn Eltern gerne lesen, lesen ihre Kinder meist viel bereitwilliger. Um das zu fördern, bieten wir ein attraktives Programm für junge Leser an. Und wir beobachten, dass viele von denen, die zunächst nur einen bestimmten Autor erleben wollen, den Reiz des Festivals entdecken und sich gerne auf Neues und Überraschendes einlassen, weil sie spüren, dass sie von der LesART nicht enttäuscht werden.

Schneider: Jede Begegnung mit einem Autor kann die Lust auf sein Buch ganz anders entfachen. Man liest mit anderen Augen, wenn man denjenigen, der das Buch geschrieben hat, persönlich kennengelernt und zusätzlich noch etwas über seine Gedankenwelt erfahren hat.

Unsere Welt wird immer komplizierter, viele verabschieden sich ins Private. Welche Rolle spielen zeitkritische Themen im Programm?

Zieger: Die interessierte Bürgerschaft unserer Stadt erwartet es inzwischen, dass wir uns während der Literaturtage aktuellen Themen stellen und Angebote zur Diskussion machen. Es geht nicht darum, Lösungen anzubieten. Entscheidend ist die Möglichkeit zu einem Diskurs, der über die Halbwertszeiten politischer Schlagzeilen hinausgeht. Das ist ein Qualitätsmerkmal der LesART, von dem sie auch lebt. Und sie lebt gut damit.

Schneider: Das sehen wir auch als Zeitungsmacher: Es gab eine Zeit lang einen Trend hin zur schnellen Lesekost, der auch durch das Internet gefördert wurde. Inzwischen beobachten wir einen Gegentrend: Vor allem die gedruckte Zeitung wird mehr und mehr als Ort der Analyse und Vertiefung wahrgenommen. Dieser Wunsch, in die Tiefe zu gehen und nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, schlägt sich auch im Erfolg der LesART nieder.

Interview: Alexander Maier