John Burnside hat lange vergeblich nach Normalität gestrebt. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Es gibt Romane, die man nicht einfach nur mit Genuss liest. Weil sie uns die tragischen Seiten des Lebens zeigen, weil sie uns an eigene Ängste oder unliebsame Erfahrungen erinnern oder weil sie uns mit Geschichten konfrontieren, die uns auf eine schmerzliche Weise tief berühren. So wie der neue Roman von John Burnside. Der schottische Autor führt seine Leser in die Abgründe des menschlichen Lebens. Und er knüpft mit dem Roman „Wie alle anderen“ nahtlos an den Vorgänger „Lügen über meinen Vater“ an. Burnsides jüngstes Werk kommt mitten aus dem prallen Leben. Und was die Lektüre noch eindrucksvoller macht: Die Geschichte jenes Mannes, der alkoholkrank, drogenabhängig und psychisch angeschlagen ist und der wie ein Hund darunter leidet, dass ihm das Leben die heiß ersehnte Normalität versagt, ist die Geschichte des Autors. Dass es seine Arbeit als Schriftsteller war, die ihm schließlich die Kraft gab, den bitterbösen Teufelskreis zu durchbrechen, zeigt einmal mehr die wunderbare Kraft, die die Literatur zu entfalten vermag - beim Lesen und weit mehr noch beim Schreiben.

Das Leben hat es nicht immer gut gemeint mit John Burnside: Er wuchs bei einem gewalttätigen, alkoholkranken Vater auf, der ihm früh klar machte, was er von den musikalisch-literarischen Ambitionen seines Sohnes hielt: Das sei nur etwas für Weicheier. Menschen wie sie gehörten in die Fabrik. Viele wären zerbrochen - John Burnside hat gekämpft, war oft ganz unten, ist immer wieder aufgestanden und hat sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Heute gilt er als einer der profiliertesten und zugleich außergewöhnlichsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Kein Wunder, dass sein Auftritt bei den Esslinger Literaturtagen im Handumdrehen ausverkauft war.

Die tiefen Wunden, die das Leben auf John Burnsides Seele geschlagen hat, hinterließen Narben. Doch er stellt sich immer wieder den Dämonen seiner Vergangenheit - wenn er über sie schreibt, vermag er sie am besten im Zaum zu halten. Wer seinen zweiten autobiografischen Roman „Wie alle anderen“ (Knaus-Verlag, 19.99 Euro) liest, wird staunend feststellen, dass der Autor keine bleischwere Tristesse vermittelt, wenn er von seinen verschlungenen Wegen durch die Hölle erzählt. Mit einem verschmitzten Lächeln kann er heute über all das, was er erlebt und oftmals auch erlitten hat, schreiben.

Er war süchtig nach Alkohol, Drogen und Sex. Er wurde von psychischen Problemen heimgesucht und gepeinigt von dem unstillbaren Drang, immer und überall verborgene Bedeutungen zu suchen, weil er hoffte, auf diese Weise etwas Ordnung in ein Leben zu bringen, das längst aus den Fugen geraten war. Und in seiner Not suchte Burnside Zuflucht in dem, was er unter Normalität verstand . Er wollte einfach nur „wie alle anderen“ sein. Doch mit der Zeit musste er sich immer drängender die Frage stellen, was Normalität eigentlich ist. Und ob sie in unserer Welt in Wahrheit überhaupt noch ihren Platz hat: „Ist es normal, wenn Dich einer fragt, ob Du seine Frau für ihn umbringen könntest?“ John Burnside ist genau das passiert. Er staunt noch heute über vieles, was ihm in seinem turbulenten Leben begegnet ist. Und er kommt immer häufiger zu dem Schluss, dass der Wahnsinn in unserer modernen Welt bisweilen sogar Methode hat: „Ist es normal, dass einer wie Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wird?“

Die Literatur weist den richtigen Weg

John Burnside erzählt authentisch und mit großer Eindringlichkeit aus seinem Leben. Und er hat die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie nicht abgeschlossen, wie er im LesART-Gespräch mit seinem Moderator Bernhard Robben verriet: Zwei weitere Bände sollen folgen, die man ebenso gern bei einem der nächsten Literatur-Festivals in Esslingen kennenlernen würde. Vom Streben nach Normalität hat sich Burnside inzwischen verabschiedet, denn er hat festgestellt, dass er mit seinem Schicksal vielleicht gar nicht so alleine dasteht: „Jedes Leben hat seine eigenen Dramen.“ Und jedes Leben birgt die Chance, irgendwann den richtigen Weg für sich zu finden. Umso schöner, wenn die Literatur dabei zum Wegweiser wird.