Quelle: Unbekannt

Er gilt als Punk-Rocker unter den Weltliteraten. Mit seiner poetischen Sprache, die wie wilde Musik klingt, hat der Amerikaner Thomas Coraghessan - T.C. - Boyle den historischen Roman in den USA wieder salonfähig gemacht. In seinem neuen Buch „Die Terranauten“ (Carl-Hanser-Verlag, 26 Euro) blickt der Starautor hinter die Kulissen einer fiktiven Biosphäre in Arizona. Realität und Fiktion verwebt er da virtuos. Am Rande seiner Lesereise, die ihn heute Abend um 19 Uhr ins Neckarforum führt, sprach Boyle über seie Arbeit und über die Lage der Künstler nach der Wahl Donald Trumps. Der 68-Jährige, der am liebsten durch die Wälder seiner Wahlheimat Santa Barbara am Pazifik streift, verfolgt den politischen Wandel in den USA mit großer Sorge.

Die Ökosphäre, in der Ihre Figuren leben, hat es in Arizona in den 90er-Jahren tatsächlich gegeben. Allerdings ist das Biosphären-Projekt beim zweiten Einschluss gescheitert. Wie hat die Wirklichkeit Ihren Roman beeinflusst?

Boyle: Einige der Biosphären-Bewohner haben Bücher über ihre Erfahrungen mit diesem künstlichen Öko-System geschrieben. Und auch in den Medien war das Thema sehr präsent. Obwohl ich fiktionale Charaktere geschaffen habe, fließt viel von dieser Wirklichkeit in den Text ein. Eigentlich hatten die Organisatoren geplant, die Biosphäre 100 Jahre lang zu testen - schließlich wurden zweieinhalb daraus. Wie Sie ja wissen, ist das Biosphären-Experiment in Tucson gescheitert. Und zwar nicht nur am Geld, sondern auch an den Kämpfen der Sponsoren.

Haben Sie die wirkliche Biosphäre in Tucson denn mal besucht?

Boyle: Ja, man kann das heute noch besichtigen. Die Technik ist faszinierend. Wissenschaftler der Universität von Arizona machen Experimente dort, aber es ist nicht mehr abgeschlossen. Als ich in die Dschungel-Sektion gekommen bin, lag da ein ganzer Hafen zerquetschter Kakerlaken. Die bleiben übrig.

Formal ist der Roman mehr als spannend. Sie wechseln immer wieder die Perspektive zwischen den drei Hauptfiguren, erzählen aus ihrer Sicht, in der ersten Person: Die ehrgeizige Dawn, der Macho Ramsay und die Verliererin Linda, die am Ende geläutert dasteht. Ist Ihnen eine der Figuren besonders ans Herz gewachsen?

Boyle: Ich habe große Sympathien für alle drei. Wenn ich ganz genau nachdenke, habe ich die größten Sympathien für Linda. Mich interessiert der Wettbewerb zwischen den dreien. Ich will herausfinden, was passiert, wenn man mit aller Kraft um eine Sache kämpft, und dann am Ende mit leeren Händen dasteht uns scheitert. Spannend ist da die Frage: Wie gehen die acht Bewohner in den zwei Jahren, die sie in dem künstlichen Öko-System eingeschlossen sind, miteinander um? Das ist ja auch eine große Frage bei den Astronauten der NASA. Oft werden die Leute in solchen Situationen auch verrückt. Das ist der Stoff für das Drama, das sich unter den Menschen abspielt.

Was hat Sie zum formalen Experiment der wechselnden Ich-Erzähler bewogen?

Boyle: Indem ich Dawn, Linda und Ramsay aus der Ich-Perspektive erzählen lasse, tauchen wir tief in íhre Gedanken ein. Die Ironie liegt darin, dass sie eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge haben. So kann ich ihre Gedanken reflektieren und zugleich die Story voranbringen.

Sie entwerfen im Roman geradezu eine Hölle. Würden Sie es dennoch wagen, in der künstlichen Welt zu leben?

Boyle: Absolut nicht, das ist mein Alptraum. So eng würde ich niemals mit anderen Menschen auf einem Raum leben. Mein großes Lebensglück ist es, alleine in der Wildnis zu sein. Santa Barbara in Kalifornien am pazifischen Ozean ist ein schöner Ort. Aber ich verbringe mehrere Monate im Jahr hoch droben auf den Bergen. Da schneit es sogar, was uns in Kalifornien sonst fehlt. Selbst wenn ich mit meiner Frau dort bin, bleibt sie nachmittags zuhause - und ich gehe raus, ganz tief in die Wälder. Ich liebe es, in der Natur zu sein.

Klimaschutz ist für Sie ein wichtiges politisches Anliegen. Sind die „Terranauten“ eine Kritik an der Politik Donald Trumps, der dieses Ziel von der Agenda streicht?

Boyle: Die Kolumnistin Elizabeth Kolbert hat in der New York Times einen interessanten Text über solche Biosphären-Experimente geschrieben. Dort ist ja nur Platz für eine Handvoll Menschen, wir anderen würden weggewischt. Die Botschaft muss also lauten: Passt besser auf diese Welt auf. Gott schütze uns, wenn ich an die amerikanische Politik denke.

Trumps Politik hat viel geändert, wir in Europa verfolgen das voller Sorge. Wie beeinflusst er Ihr künstlerisches Schaffen?

Boyle: Bei jeder Gelegenheit erheben wir als Künstler die Stimme gegen ihn. Was er tut, verstößt gegen jegliche demokratische Regeln. Das alles ähnelt der Übernahme eines Landes durch die Faschisten. Er setzt sich als starken Mann in Szene, manipuliert die Unterschicht mit seiner Propaganda und greift die freie Presse offen an. Ich bin fest überzeugt, dass unsere Demokratie stark genug ist, Widerstand zu leisten. Natürlich hoffe ich wie viele andere in den USA, dass er sich nicht lange halten wird. Doch der Schaden, den er bis dahin anrichtet, ist kaum vorherzusehen. Sollte er sich die ganzen vier Jahre im Amt halten, sind die Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimaschutz unvorstellbar. Donald Trump wirft uns 100 Jahre zurück. Das ist einfach obszön. Mir scheint es so, dass alles, woran ich glaube, mit voller Absicht zerstört wird - Frauenrechte, Bildung, die multikulturelle Gesellschaft und Klimaschutz. Und das alles nur, um den Großkonzernen, die er kontrolliert, noch mehr Profit zu verschaffen.

In Ihrem Buch „Amerika“ (englisch: „The Tortilla Curtain“) haben Sie eine solche Entwicklung vorausgesehen. Der Roman von 1995, in dem es um Rassismus und das Denken der amerikanischen Eliten geht, ist beklemmend aktuell. Denken Sie da an eine Fortsetzung?

Boyle: Natürlich nicht, denn die Geschichte ist auserzählt. Es gibt viele andere Themen, die mich bewegen. Aber tatsächlich kenne ich viele Leute, die das Buch gerade jetzt wieder lesen. Für mich gibt es genug neue Themen.

Sie haben in den USA den historischen Roman wieder salonfähig gemacht. In den vergangenen Jahren war es die nähere Vergangenheit, die Sie beschäftigte. Bewegt Sie die Geschichte denn noch?

Boyle: Oh ja, ich arbeite an einem Roman über LSD und den Schweizer Albert Hoffmann, der die synthetische Droge in Basel entwickelt hat. Er starb mit 102 Jahren. Im Hanser-Verlag erscheint im Januar 2018 eine Sammlung von Kurzgeschichten, „The Good Home“ (deutsch: Das gute Zuhause). Da geht es um die Doppelmoral von Tierhaltern. Es gibt Menschen, die Hunde adoptieren, um sie bei Kämpfen töten zu lassen.

Das Interview führte Elisabeth Maier.

Biografie

Vita: T.C. Boyle wurde am 2. Dezember 1948 in Peekskill im Staat New York geboren. Mit dem zweiten Vornamen Coraghessan erinnert er an seine irische Vergangenheit. Er wuchs in schwierigen Verhältnissen auf, hatte anfangs große Probleme mit der Schule. An der Universität entdeckte er seine Liebe zur Literatur, erwarb 1977 einen Doktortitel an der University of Iowa über die englische Literatur des 19. Jahrhunderts. Außerdem besuchte er den Writers Workshop derselben Universität unter der Leitung von John Irving, der zu seinem Mentor wurde. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit lehrte Boyle seit 1978 Englisch an der University of Southern California, seit 1986 als Professor. Boyle ist seit 1974 mit Karen Kvashay verheiratet, mit der er drei Kinder hat. Das Paar lebt heute mit Hund und Katze in Montecito bei Santa Barbara in Kalifornien.

Werke: Neben seinen über 60 Kurzgeschichten hat T.C. Boyle 16 Romane geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt worden sind. Der historische Roman ist sein Metier. In aller Welt verleiht er dem kritischen Amerika eine Stimme. Viele Werke sind auf Bestsellerlisten zu finden. „Ich konzentriere mich auf Prosa“, sagt der Künstler. Zwar könne er sich vorstellen, dass aus seinen „Terranauten“ eine Fernsehserie werden könnte, das Drehbuch würde der Literat nicht schreiben. Kurzgeschichten mag er, „die kann man vor dem Schlafengehen lesen.“