Quelle: Unbekannt

Vor dem Rädeln müssen die Kartoffeln etwas abkühlen, damit der Salat am Ende nicht matschig wird. Das Öl kommt erst ganz zum Schluss an den Salat - sonst nehmen die Kartoffeln die würzige Soße nicht gut auf.

Womit würde man geschmälzte Maultaschen essen, wenn es keinen Kartoffelsalat gäbe? Schon diese einfache Frage, auf die es keine befriedigende Antwort gibt, führt vor Augen, warum Kartoffelsalat ein schwäbisches Heiligtum ist.

Neben den Maultaschen fallen Ulrike Seifried auch andere Speisen ein, die schon fast zwingend von Kartoffelsalat flankiert werden: das panierte Schnitzel zum Beispiel. Das kann man zwar auch mit Pommes essen, was für schwäbische Geschmäcker schon eine ziemlich trockene Sache ist. Aber sonst eigentlich nur mit Kartoffelsalat, genau wie den Leberkäse, wenn er nicht im Brötchen steckt. Mal abgesehen von Fleischküchle oder Saitenwürsten. Seifried spricht dabei nicht nur von ihren eigenen Vorlieben, sondern aus Erfahrung. Die Landwirtin vom Waldwiesenhof in Altbach betreibt seit etwa 15 Jahren einen Partyservice und Kartoffelsalat steht so gut wie immer auf der Wunschliste der Kunden. An diesem Wochenende beliefert sie zwei Hochzeiten, eine weitere Privatfeier und eine Vereinsveranstaltung mit insgesamt 36 Kilo Kartoffelsalat.

Weil mit dem Rohstoff alles steht und fällt, müssen dafür auf jeden Fall festkochende Kartoffeln her - nicht etwa vorwiegend festkochende und schon gar nicht mehlig kochende. Idealerweise haben sie noch sattgelbes Fleisch, weil das appetitlicher aussieht. Ulrike Seifried hat diesmal Annabell genommen, eine sehr frühe Sorte. Die gäben geschmacklich und auch optisch „einen ganz tollen Salat“, sagt sie. Etwas später im Jahr kommen die ebenfalls sehr gute Selma zum Zug oder der Klassiker Sieglinde.

Die Knollen sind bereits im großen Topf gekocht. Jetzt werden sie von Hand geschält. Die Mitarbeiterinnen Sabine Haberzettl und Hanna Kollerz nehmen die Aufgabe als sportliche Herausforderung und treten nicht nur gegen zwei Wannen voll gekochter „Ebbira“ an, sondern auch gegen die Uhr. „Ich schäle schon immer gern Kartoffeln“, verrät Haberzettl. Das sei sogar der Hauptgrund gewesen, warum sie sich vor Jahren auf dem Waldwiesenhof bewarb. Gerade einmal eine Dreiviertelstunde braucht das Duo, um allen Erdäpfeln die Haut abzuziehen. Wichtig sei, sie heiß zu schälen, erklärt Seifried, dann lasse sich die Schale fast am Stück entfernen. Sind die Kartoffeln dagegen abgekühlt, muss man sie recht mühsam abschaben. Um sich die Finger nicht zu verbrennen, tauchen die Frauen die Knollen kurz in kaltes Wasser. Man könnte sie aber auch auf eine Gabel spießen.

Im nächsten Schritt müssen die geschälten Kartoffeln ruhen. Denn beim Abkühlen stabilisiert sich die in ihnen enthaltene Stärke, sodass sie beim Rädeln nicht zerbröseln. Sonst bekomme man „Matsch“, sagt Ulrike Seifried. Zu lange warten wäre aber auch falsch, denn die „Kartoffelrädle“ sollen ja beim Anmachen zum einen die Brühe aufnehmen, zum anderen noch etwas Stärke abgeben, damit die Soße sämig wird. Lauwarm ist der beste Zustand. Gerädelt wird auf dem Waldwiesenhof mit der Maschine. Für den Hausgebrauch kann man die Knollen auch mit der Küchenreibe hobeln oder mit dem Messer schneiden - Hauptsache, die Scheiben werden fein.

Und wie macht man bei 36 Kilo Grundmaterial die Salatsoße an? Ulrike Seifried greift zum Zehn-Liter-Eimer und verrührt darin heißes Wasser mit gekörnter Gemüsebrühe, Essig, Salz, Pfeffer und Senf. Die Verkostung zeigt: Die Brühe ist ausgesprochen rezent - als Suppengrundlage wäre sie wohl den Meisten zu intensiv. „Die darf ruhig kräftig sein, weil an den Kartoffeln ja noch nichts dran ist“, sagt Seifried.

Sie gießt diese Soße, die noch kein Öl enthält, mit Schwung in die große Schüssel, rührt um, gießt noch mal nach, rührt wieder. „Jetzt muss er gschwind standa bleiba“, sagt sie und nutzt die Zeit zum Aufräumen. Nach zehn Minuten wird erneut durchgerührt. Das ist der Moment, in dem der Kartoffelsalat „schwätzen“, also ein Geräusch von sich geben soll, das irgendwo zwischen nassem Plätschern und trockenem Schmatzen angesiedelt werden könnte. Tatsächlich schmatzt er momentan noch etwas zu trocken, was ihm eine weitere Ladung Flüssigkeit aus dem Eimer beschert. Ansonsten ergänzt die Küchenchefin nur ein bisschen Essig und Salz, mehr braucht es nicht, weil sie von Anfang an nicht mit Brühe und Gewürzen gegeizt hat. Das sei ihr lieber als mehrmals nachzuwürzen und zu probieren, sagt sie: „Irgendwann schmeckt man’s nicht mehr.“

Wichtig ist: Das Öl - geschmacksneutrales Sonnenblumenöl - kommt erst zum Schluss in den Salat. Da stimmen sämtliche schwäbischen Rezepte überein, bei aller Varianz, die es ansonsten gibt. So kann man zum Beispiel bei „Prenzlschwäbin“ Bärbel Stolz, die in Berlin lebt und mit witzigen Youtube-Filmen sowohl die Schwaben als auch die Berliner auf die Schippe nimmt, eine etwas andere Methode mit schichtweiser Zubereitung lernen.

Die meisten Schwaben werden an dieser Stelle allerdings die fehlende Zwiebel reklamieren. Die gilt tatsächlich, fein gehackt und mit der Brühe übergossen oder auch angedünstet, als wichtige Zutat im Kartoffelsalat. Trotzdem mögen oder vertragen viele Kunden Zwiebeln nicht, ist die Erfahrung von Ulrike Seifried. Zudem ist die Haltbarkeit ohne Zwiebeln besser. „Wir machen auch ohne Zwiebeln einen sehr guten Kartoffelsalat“, sagt die Küchenchefin. Beschwert habe sich deshalb noch niemand.

Schlimmer als die fehlende Zwiebel ist sowieso all das, was zu viel im Kartoffelsalat sein kann. Schnittlauch darüber streuen mag noch durchgehen. Aber es gehören keine Essiggurken rein. Keine Eier. Kein Speck. Und schon gar keine Mayonnaise. Mit Mayonnaise im Kartoffelsalat gemäß norddeutscher Zubereitung kann man sich bei Schwaben nachhaltig den Ruf ruinieren, was mittlerweile auch ziemlich bekannt ist.

Die ältesten bekannten Nachweise für Kartoffelsalat enthalten übrigens weder Mayo noch Brühe und sind mehr als 400 Jahre alt. Damals kamen die nahrhaften Knollen, von den Inkas „papas“ genannt, mit den spanischen Eroberern nach Europa. Der englische Botaniker John Gerard beschreibt die Pflanze in seinem 1596 erschienenen Pflanzenverzeichnis „The Herball or Generall Historie of Plantes“ und erwähnt unter anderem die Zubereitung von Kartoffeln mit Öl, Essig und Pfeffer. Diese Beschreibung gilt als ältestes bekanntes Kartoffelsalatrezept, sie steht in dem fast 1700 Seiten dicken botanischen Wälzer, den man digitalisiert im Internet findet, auf Seite 928.

Aus dem deutschsprachigen Raum ist ein Rezept von 1621 bekannt, das allerdings zuerst auf Lateinisch publiziert wurde. Es stammt von Autor Honorius Philoponus, hinter dem sich der Abt Kaspar Plautz aus dem österreichischen Kloster Seitenstetten verbarg. In seinem Buch „Nova typis transacta navigatio“ schildert er mit einer bunten Mischung aus Fakten und Schauergeschichten die Missionierung Amerikas. Die Kartoffel, dort ein Grundnahrungsmittel, ist abgebildet und von einem Rezept begleitet, dessen Übersetzung aus dem Lateinischen lautet: „Einen Salat aus diesen kannst du folgendermaßen zubereiten: Nimm die Knollen und schneide sie, wenn sie gesäubert und weich gekocht sind, in Scheiben. Gib Öl, Essig, Pfeffer, Salz oder Zucker dazu und koste.“

In Österreich ist Kartoffelsalat übrigens ähnlich bedeutend wie in Schwaben und wird auch ebenso zubereitet, nur dass er Erdäpfelsalat heißt. Wenn dagegen die Amerikaner von „German Potato Salad“ sprechen, gehört auch Speck dazu.

So wird

s gemacht

Das braucht man für schwäbischen Kartoffelsalat: 1 Kilo festkochende Kartoffeln, eine fein gewürfelte Zwiebel, 200 bis 250 ml Gemüse- oder Fleischbrühe (kräftig), 1 TL Senf (mild oder mittelscharf), 3 bis 4 Esslöffel Wein- oder Kräuteressig, Salz, Pfeffer, 5 bis 6 Esslöffel neutrales Öl.

Die Arbeitsschritte: Kartoffeln kochen, noch heiß schälen, dann stehen lassen bis sie lauwarm sind. Fein rädeln. Die feingeschnittenen Zwiebeln mit der heißen Brühe übergießen, Senf, Pfeffer und Salz dazugeben und durchrühren. Die Brühe soll sehr kräftig sein. Über die Rädchen gießen und unterrühren. Die Kartoffeln nehmen die Brühe auf, deshalb einige Minuten ruhen lassen und eventuell weitere Brühe zugeben. Erst dann kommt das Öl dazu. Abschmecken und lauwarm oder kalt essen.