Kameragrammophon Foto: Bail - Bail

Seit seiner Jugend hat Rolf Geigle ein Faible für historische Plattenabspielgeräte. Heute beherbergt seine Sammlung rund 500 Grammophone. Die präsentiert er im Bad Uracher Stadtteil Hengen in einem ehemaligen Bauernhaus, das er eigenhändig renoviert und in ein Privatmuseum verwandelt hat.

UrachMit dem Sammlervirus infiziert wurde Rolf Geigle bereits im zarten Alter von 14 Jahren durch ein Mikiphone. Der Plattenteller des kleinsten, jemals in Serie hergestellten Taschengrammophons misst gerade zehn Zentimeter, und dennoch lässt sich auf ihm eine Platte mit 25 Zentimeter Durchmesser abspielen. Das faszinierte den angehenden Radio- und Fernsehtechniker dermaßen, dass er beschloss, so einen Apparat besitzen zu wollen. Jahre später konnte er ein Schweizer Präzisionsgerät, das in einer Käseschachtel Platz hat, auf einer Auktion ersteigern. Dieses Erlebnis war die Initialzündung für eine der bemerkenswertesten Privatsammlungen tief in der Provinz des deutschen Südwestens. Rolf Geigle hat in 40 Jahren 500 historische Abspielgeräte zusammengetragen. 370 davon präsentiert er seit 2013 auf insgesamt vier Etagen eines liebevoll renovierten, ehemaligen Bauernhauses in der Jakob-Reisser-Straße 2 im dörflichen Bad Uracher Stadtteil Hengen. Und alle sind funktionsfähig. Eigenhändig repariert.

Baden-Württemberg gilt als Sammlerland. Rolf Geigle ist ein leidenschaftlicher Vertreter dieser Spezies, die ihrem Hobby im Privaten frönen, ohne die Dorfkasse zu belasten und ohne öffentliche Zuschüsse. Jedes Exponat ist selbst gekauft, das Haus in Eigenleistung auf Vordermann gebracht. „Schaffen ist mein Hobby“, sagt der Schwabe und man glaubt’s ihm aufs Wort. Sein Sammlermuseum ist klug konzipiert, didaktisch gut aufbereitet und macht einfach Spaß, auch weil man die unvergleichliche Passion des 64-Jährigen spürt, der es sich nicht nehmen lässt, die Besucher persönlich durch die vielfältige Welt der Grammophone und ihrer Geschichten zu führen. Manch öffentliches Museum könnte sich ein Beispiel nehmen.

Dieses enorme Spektrum der Grammophone reizt ihn. Jeden Sonntag zog er über die Flohmärkte, kaufte Trichter-, Möbel- und Koffergrammophone und viel Kurioses – Exponate, die selten zu finden sind. „Davon habe ich richtig viel“, freut sich der Mann, der seit Anfang des Jahres in Rente ist. Als Beispiele nennt er das Modellauto mit eingebautem Grammophon. 1908 war diese technische Kombination eine Sensation. Auch das Unikat mit Doppeltrichter dürfte nicht häufig zu sehen sein. Das Echogerät von 1910 produziert jeden Ton doppelt, der zeitversetzt zu hören ist, wie bei einem Kanon. „Extrem extravagant“, schwärmt der Sammler. Und für den Nachtstuhl mit Musik von 1930 muss man ein Faible haben. Zumindest benötigte er nicht viel Platz. Das Schwarzwaldhaus von 1920 ist eine Einzelanfertigung. Unterm Dach spielt das Grammophon und aus der Scheune kommt die Musik. Die Bauersleut‘ sitzen am Stubentisch und hören zu.

Sein ältestes Exponat ist ein stiftwalzengesteuertes Klavier von 1850. Die Grammophone stammen aus der Zeit zwischen 1886 und Mitte der 40er-Jahre. Emil Berliner gilt als Erfinder des Abspielgeräts für Platten. Der Techniker hatte erkannt, dass der von Thomas Alva Edison 1877 entwickelte Musikapparat mit drehbarer Walze für die industrielle Massenfertigung nicht taugte. Also erfindet er eine Scheibe, in die Töne geritzt werden. Vor 130 Jahren präsentierte er Grammophon und Schallplatte erstmals öffentlich.

Nachdem die Flohmärkte abgegrast waren, bezog Geigle die klingenden Schätze von Händlern, die weltweit Ausschau hielten. „Süchtig sammeln und in der Weltgeschichte rumfahren, geht nicht.“ Eigentlich ist die Sammlung komplett. Was ihm noch fehlt, ist meist unbezahlbar. Die Spanne reicht vom Koffergrammophon für 100 Euro bis in den fünfstelligen Bereich. Messen und Börsen meidet er. „Das könnte ruinös werden“, meint der Mann, der Grammophonsammeln als die Hobbyvariante seines Berufs bezeichnet. Im vergangenen Jahr wurden Geigle vier Geräte für 22 000 Euro angeboten. Es siegte die Vernunft. „Wenn die Bude voll ist, sagt sich’s leichter nein.“ Allerdings nicht immer. Der außergewöhnliche Edison-Chinoise-Schrank mit Lackmalerei von 1925 war eigentlich zu teuer. Doch als er und seine Frau Lonie vor dem Prachtstück standen, „war der Fisch geputzt“. Jetzt zählt das exquisit glänzende Möbel gemeinsam mit der vergoldeten Stehlampe mit Musik aus dem Jahr 1910 zu den Highlights der Sammlung. Da für die Beleuchtung ohnehin Strom benötigt wurde, ist auch der Antrieb elektrisch. Der Ton wurde allerdings mechanisch verstärkt. Drei Tage ging das Sammlerehepaar mit dem Kauf der kostspieligen Lampe schwanger. Selbst in der Blütezeit der Grammophone waren die Geräte Luxus pur. Ein Abspielgerät kostete um 1900 zwischen 150 und 300 Reichsmark. Das Jahresgehalt eines Arbeiters betrug keine 1000 Reichsmark.

„Das ist unser Leben und wir lassen die Öffentlichkeit daran teilhaben“, rechtfertigt Geigle sein Hobby. 1989 eröffnete er seine erste Ausstellung im Wohnhaus mit 100 Geräten. „Dazwischen haben wir gewohnt.“ Anfang der 90er-Jahre zeigte er im alten Schulhaus in Hengen seine Exponate. Von 2006 bis 2012 war die Sammlung Geigle zu Gast im Stadtmuseum in Bad Urach.

45 000 Tonträger, davon 25 000 Schellackplatten haben ebenfalls Unterschlupf in der Jakob-Reisser-Straße gefunden. Im Veranstaltungskeller erlaubt ein 22-Minuten-Film einen virtuellen Rundgang durchs gesamte Privatmuseum. Tausende von Abspielnadeln lagern in Metalldöschen, die wie kleine Kunstwerke aussehen. In einem Extrazimmer befindet sich das Aufnahmestudio. Außergewöhnlich ist die Strohgeige. Diese Violinenform hat keinen Holzresonanzkörper. Der Schall wird mit einer Nadel direkt am Steg abgenommen und über eine Membran aus einem Trichter ausgegeben, der Richtung Aufnahmetechnik gerichtet war. So wurde die Qualität von Aufnahmen für Streichinstrumente verbessert.

Bei der beleuchteten, amerikanischen Musikbox aus Ende der 30er-Jahre hüpft das Herz. Kinder dürften spätestens beim Anblick des funkelnden Rummelplatzes begeistert sein. Fahrgeschäfte wurden in Funktion und Optik dem Original vom Bastler Helmut Lauffer aus Kirchheim in akribischer Kleinarbeit nachempfunden. Karusselle drehen sich zu Musik, blinkende Schaubuden, Loopings und Autoscooter füllen einen eigenen Raum. Unterm Dach verblüfft die akkurate Phalanx der Koffergrammophone bis in die 40er-Jahre mit braunen Schellackplatten, die Telefunken in den 30er-Jahren passend zur Politik hergestellt hat.

Rolf Geigle zeigt seine Sammlung gerne nach Absprache, Telefon 07125/3214 oder per E-Mail an geigle.urach@t-online.de. Informationen gibt es auf der Homepage unter www.grammophonsammlung-geigle.de